Meine Katze ist gestorben
“Lilly ist zum Sterben gegangen”.
Das schrieb mir meine Mutter vor ein paar Wochen. Damit ist das eingetroffen, womit wir schon seit Monaten gerechnet hatten. Schließlich war Lilly schon eine alte Dame: In Katzenjahren fast 119 Jahre alt! Bei unserem letzten Besuch im vergangenen August sprachen wir darüber, dass es wohl bald mit ihr zu Ende gehen würde: Sie schlief extrem viel. Hörte kaum noch und fing schon längst keine Mäuse mehr. Sie war schnell außer Atem. “Ich glaube, ich sehe sie zum letzten Mal. Das ist ihr letzter Sommer”, sagte ich. Meine Mutter nickte.
Lilly war eigentlich meine Katze. Doch nach meinem Abitur blieb sie bei meiner Mutter am Bodensee wohnen. Dort führte sie ein wunderbares Katzenleben: Sie fing im Garten Mäuse, sonnte sich auf den warmen Steinen und kratzte am alten Feigenbaum.
Sie war ein Freigänger und war – wie wohl jede Katze – ein Freigeist:
Kraulen ja, aber nur wenn sie es möchte – und ausschließlich an bestimmten Stellen.
Futter ja, aber nur das eine.
Lilly war eine stolze Katzendame mit grünen, leuchtenden Augen, schwarzem glänzendem Fell und einem weißen Fleck vorne auf der Brust.
Die Nachricht meiner Mutter war also keine Überraschung. In den Tagen danach begleitete mich eine dumpfe Traurigkeit.
Ich hatte das Gefühl, dass mit dem Tod von Katze Lilly das Kapitel meiner Jugend endgültig endete.
Denn die Geschichte, wie Lilly zu mir kam, ist eine besondere und gleichzeitig die Geschichte einer tragischen, weil unerfüllten Jugendliebe.
Lilly war das Geschenk eines jungen Mannes: Clemens.
Clemens war zwei Jahrgänge über mir. Er spielte begnadet Klavier im Schulorchester und ich sang im Schulchor.
Zwei Jahre zuvor war ich endlos in Clemens verknallt.
Jedes Mal, wenn er mit mir sprach, spürte ich, wie mein Gesicht rot anlief und mir heiß und kalt wurde. Clemen…