Ein Text von Sarah Schulze
Julia ist 30 Jahre alt und hat weder Kontakt zu ihrem Vater noch zu ihrer Mutter. Ihre Mutter ist psychisch krank und hat sie als Kind häufig geschlagen. Eine Geschichte, mehrere gesellschaftliche Tabuthemen: Kontaktabbruch, psychische Erkrankung, Gewalt – und vor allem ist es Julias persönliches Tabuthema. Wenn Freunde und Bekannte in Gesprächen locker und fröhlich über ihre Eltern sprechen, sitzt Julia nur still daneben. Zu komplex, zu mächtig ist ihre Geschichte. Was machen solche zerrütteten Familienverhältnisse mit einem Menschen?
Julia (Name von der Redaktion geändert) war sechs Jahre alt als sie ihren Vater kennenlernte. Wie aus dem Nichts stand er auf einmal vor ihr, vor dem Haus, in dem sie mit ihrer Mutter wohnte. “Das ist Dein Vater.” Die Worte ihrer Mutter hallen auch heute noch in ihren Ohren nach. Die Stimmung zwischen den Eltern war aggressiv, sagt Julia. Daran kann sie sich noch gut erinnern. Heute hat sie zu beiden keinen Kontakt mehr.
“Hör auf”, sagte er
Julia wächst bei ihrer Mutter auf. Die Eltern waren nur kurz zusammen, direkt nach ihrer Geburt trennten sie sich. Kurz nachdem sie ihren Vater mit sechs Jahren kennenlernte, kommt er mit einer anderen Frau zusammen. Was danach passiert, versteht Julia bis heute nicht: “Mein Vater hat ein Geheimnis aus mir gemacht. Vor seiner neuen Frau hat er geleugnet, dass es mich gibt.” Sie schrieb ihm viele, viele Briefe, erzählt sie. Seine Antwort war immer dieselbe: “Hör auf.” Julia wirkt ruhig und gefasst, als sie über die Reaktionen ihres Vaters berichtet – bewundernswert angesichts dieser Worte, die so verletzend gewesen sein müssen.
Heute lebt er mit seiner Frau und seinen anderen Kindern in Italien, dort stammt er gebürtig her. Ich frage sie, ob sie mit dem Gedanken spiele, wieder Kontakt zu ihm aufzunehmen. “Wir können keine Beziehung mehr aufbauen. Es ist einfach zu viel passiert. Über was sollen wir denn sprechen?” Lange Jahre war sie vo…