Wie fühlt es sich an, als Leihmutter ein Baby auszutragen?

Darüber berichtet die Kanadierin Ariel Taylor freimütig, u.a. auf ihrem Instagram (Öffnet in neuem Fenster)-Account. Die 31-Jährige ist ausgebildete Sozialarbeiterin und Psychotherapeutin mit dem Schwerpunkt Kinderwunsch- und Schwangerschaftsbegleitung und lebt mit ihrem Partner Brandon, ihrer leiblichen Tochter und zwei Stieftöchtern in London, Ontario. Derzeit ist sie zum fünften Mal als Leihmutter schwanger, erzählt Ariel im Interview.

Von Mirca Heidler


Während die Leihmutterschaft weltweit oft kritisch betrachtet wird und in Deutschland bisher verboten ist, erlaubt Kanada die sogenannte altruistische Leihmutterschaft. Im Gegensatz zur kommerziellen Leihmutterschaft, bei der die Leihmutter für das Austragen des Kindes fremder Eltern ein Honorar erhält, werden bei der altruistischen Leihmutterschaft lediglich die Ausgaben der Leihmutter für ihr Wohlergehen während der Schwangerschaft ersetzt. Dazu gehören beispielsweise medizinische und rechtliche Kosten, Aufwendungen für Umstandskleidung und spezielle Ernährung, Fahrtkosten oder Kosten für Kinderbetreuung.

In Deutschland wird aktuell über Möglichkeiten zur Legalisierung der Eizellspende und der altruistischen Leihmutterschaft beraten. Dafür wurde im März 2023 die Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin gegründet. Der Abschlussbericht der Kommission soll zwölf Monate nach Konstituierung vorgelegt werden. (Mehr Infos dazu in dieser Pressemitteilung:BMFSFJ – Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin konstituiert sich (Öffnet in neuem Fenster))

Ariel, wann hast du zum ersten Mal von der Möglichkeit der Leihmutterschaft gehört und wie waren damals deine Gedanken dazu?

Ariel Taylor: Meine Reise der Leihmutterschaft begann 2015, kurz nachdem meine Tochter zur Welt gekommen war. Ich habe es geliebt, schwanger zu sein, und bin über Social Media auf das Thema aufmerksam geworden. Ich habe erst recherchiert und schließlich beschlossen, dass ich sehr gerne jemandem auf diese Weise helfen würde. 2015 habe ich einen Vertrag bei einer Agentur zur Vermittlung von Leihmutterschaften unterzeichnet und 2016 war ich zum ersten Mal als Leihmutter schwanger. Ich bin jedoch niemals die biologische Mutter der Kinder, sondern bekomme immer nur die Embryonen der Wunscheltern nach der In-vitro-Fertilisation (IVF) (Anmerkung der Redaktion: lateinisch für „Befruchtung im Glas“) eingesetzt.

Wie oft warst du als Leihmutter schwanger und wie haben sich die Schwangerschaften entwickelt?

Fünf Mal. Meine erste Schwangerschaft in 2016 war für ein Paar hier aus der Gegend, das von Unfruchtbarkeit betroffen war. Traurigerweise endete diese Schwangerschaft mit einer Fehlgeburt in der 16. Schwangerschaftswoche. Es war schrecklich. Dieser Verlust war einer der wichtigsten Gründe, warum ich beschlossen habe, als Therapeutin Menschen bei ihren Kinderwunsch-Reisen und schwierigen Schwangerschaften zu begleiten, denn damals hatte ich das Gefühl, dass es keine spezifische Unterstützung für die Trauer in einem solchen Fall gab.

Du hast dich trotzdem für eine zweite Schwangerschaft als Leihmutter entschieden.

Ja. Nach einigen Monaten und vielen Tests, um sicherzustellen, dass ich bereit war, wieder schwanger zu werden, traf ich ein wundervolles Paar, das seit vielen Jahren erfolglos versuchte, schwanger zu werden. Sie hatten selbst bereits acht Embryonen-Transfers hinter sich – keiner hatte funktioniert. Darum entschieden sie sich für die Leihmutterschaft. Im Jahr 2017 habe ich ihren Sohn ausgetragen. Er wird dieses Jahr sechs Jahre alt! In 2021 habe ich auch ihren zweiten Sohn zur Welt gebracht. Beide Schwangerschaften verliefen reibungslos und Geschwister für eine Familie austragen zu können, war eine großartige Erfahrung für mich. Auch einem homosexuellen Paar, das ohne die Hilfe einer Leihmutter niemals ein eigenes Kind hätte haben können, habe ich geholfen. Die Väter haben eine Eizellspende genutzt, um ihre Embryos zu bekommen, und ich habe einen dieser Embryos ausgetragen: Sohn Ari. Manchmal braucht es also wirklich “ein Dorf”, um ein Baby zu bekommen. Während der Schwangerschaft haben mich die Väter mehrmals besucht, wir haben zusammen Babybauch-Fotos gemacht und sie waren bei der Geburt dabei. Nach der Geburt blieben sie sogar ein paar Wochen bei mir und meiner Familie, bevor sie zurück in die Staaten fliegen konnten.

Du bist aktuell schwanger. Wieder als Leihmutter?

Ja, dieses Mal trage ich das Kind meiner Freundin Marissa aus, die im Alter von 25 Jahren an Gebärmutterhalskrebs erkrankt ist und seither kein Kind mehr austragen kann. Wir haben eine besondere Verbindung zueinander aufgebaut und sie ist sehr involviert in den ganzen Prozess. Wir haben alle Hebammenbesuche zusammen gemacht und unsere gemeinsame Reise öffentlich auf Social Media dokumentiert. Im Juli 2023 wird sie endlich ihren Sohn in den Armen halten und ich kann es kaum erwarten. Dies könnte meine letzte Schwangerschaft für jemand anders sein. Es hängt davon ab, wie die Geburt verläuft und ob es dabei Komplikationen gibt. Wenn es kein Kaiserschnitt wird, könnte ich möglicherweise noch einmal für eine Leihmutterschaft zugelassen werden.

Bist du auch noch mit den anderen Familien und ihren Kindern in Kontakt?

Ja! Ich treffe noch immer alle Kinder, die ich ausgetragen habe. Sie sind jetzt fast 6, 4 ½ und 2 Jahre alt. Alle Kinder wissen genau, wer ich bin und dass ich sie ausgetragen habe. Die Familien sind sehr offen und ehrlich mit ihnen. Wir besuchen uns so oft wie möglich und bleiben auch über Social Media in Kontakt.

Wie fühlt es sich an, als Leihmutter schwanger zu sein – ist es anders als mit einem eigenen Kind?

Die Schwangerschaft an sich fühlt sich gleich an, aber ich finde es viel entspannter, als Leihmutter schwanger zu sein. Ich muss mir keine Gedanken um Kinderzimmer oder Elternzeit machen, ich muss mein Leben nicht für ein Kind anpassen. Stattdessen kann ich mich ganz darauf konzentrieren, schwanger zu sein und dass es mir gut geht.

Hattest du jemals den Wunsch, das Baby bei dir zu behalten?

Das Ende einer Schwangerschaft als Leihmutter fühlt sich an wie ein Fest. Es ist ein großes Missverständnis, anzunehmen, dass die Leihmutter in diesem Moment traurig ist. Ich selbst habe nicht den Wunsch, weitere Kinder zu bekommen, und freue mich auch immer darauf, nach der Schwangerschaft zu meinem normalen Leben zurückzukehren, um mehr Zeit mit meiner Familie zu verbringen, wieder zu reisen und meinem Beruf als Therapeutin nachzugehen. Ich habe keinerlei Wunsch, eines dieser Kinder bei mir zu behalten – obwohl ich sie auf die Welt gebracht habe.

Welchen Vorurteilen begegnest du als Leihmutter und wie denkst du darüber?

Es gibt viele Missverständnisse in Bezug auf Leihmutterschaft. Viele Menschen glauben, dass Leihmütter gezwungen werden, Babys für reiche Menschen auszutragen, dass nur vermögende und berühmte Leute Leihmütter nutzen, dass Leihmutterschaft aus Gründen der Eitelkeit genutzt wird oder dass Kinder von Leihmüttern später traumatisiert sind. Nichts davon ist wahr. Leihmutterschaft ist eine Vereinbarung, die beide Parteien umfangreich informiert eingehen. Es ist eine Entscheidung. Viele normale Menschen nutzen die Möglichkeit der Leihmutterschaft. Einer von sechs Menschen ist von Unfruchtbarkeit betroffen und es gibt viele mögliche Gründe, warum jemand auf die Hilfe einer Leihmutter angewiesen ist.

Als altruistische Leihmutter bekommst du kein Honorar für deinen Aufwand. Wie denkst du über Leihmütter, die das tun, um damit Geld zu verdienen?

Ich denke, dass Leihmütter grundsätzlich eine faire Bezahlung für ihre Zeit erhalten sollten, wie beispielsweise die Leihmütter in den USA. Der Grund dafür, dass Leihmütter in Kanada nicht bezahlt werden können, ist die Annahme, dass es ansonsten nur arme und verzweifelte Frauen machen würden. Das ist völlig unwahr und nicht einmal möglich, da Leihmütter gewisse Voraussetzungen erfüllen müssen, wie ein solides Zuhause und finanzielle Stabilität. In den USA, wo Leihmütter fair bezahlt werden können, sind die Regeln dafür, wer Leihmutter werden kann, sogar noch strikter. Schwangerschaften können schwierig sein und Risiken bergen. Leihmütter pausieren aufgrund der Schwangerschaft ihr normales Leben für ein bis zwei Jahre. Das alles verdient eine faire Kompensation.

Wie steht deine Familie zu deinem Engagement als Leihmutter? Wie gehen deine Kinder damit um?

Meine Familie ist unglaublich unterstützend. Leihmutterschaft ist ein großer Teil unseres Lebens und es war sehr positiv für meinen Mann und unsere Kinder, die Familien kennenzulernen, für die ich Kinder ausgetragen habe. Meine Kinder lieben es, zu spüren, wie sich die Babys in meinem Bauch bewegen und ihren Herzschlag zu hören. Es war immer besonders, wenn sie die Babys schließlich in ihren Armen halten durften und sich später wieder getroffen haben, wenn die Kinder älter waren.

Du bist kein großer Fan der Bezeichnung „Leihmutter“. Was wäre eine bessere Bezeichnung?

Leihmutter ist ein veralteter Begriff. Er trägt zu dem Missverständnis bei, dass die Leihmutter die Mutter des Kindes sei oder eine mütterliche Verbindung zu ihm habe. Ich bevorzuge die Bezeichnung „gestational surrogate“ oder „gestational carrier“ (Anmerkung der Redaktion: zu deutsch etwa „Trägerin der Schwangerschaft“). Diese Bezeichnung macht klar, dass die Leihmutter nicht die Mutter des Kindes ist und keine mütterliche Bindung zu ihm hat, sondern lediglich die austragende Person ist. Das soll nicht kalt oder herzlos klingen, aber gesetzlich betrachtet hilft es dabei, die Rolle der Leihmütter zu spezifizieren.

Das Thema Fruchtbarkeit fasziniert dich so sehr, dass du beschlossen hast, dich auch in deinem Beruf als Psychotherapeutin auf dieses Thema zu fokussieren. Wie machst du das konkret?

Während meiner Zeit der Leihmutterschaft habe ich sehr viel gelernt. Ein Thema, das mir immer sehr stark aufgefallen ist, war der Mangel an Unterstützung für Menschen, die von Unfruchtbarkeit betroffen sind. Unfruchtbarkeit verursacht ein einzigartiges Trauma und erfordert Unterstützung durch spezialisierte Therapeut:innen. 2021 habe ich meine Ausbildung als Sozialarbeiterin und Psychotherapeutin abgeschlossen und anschließend mein eigenes Unternehmen mit dem Namen „Carried With Love“ gegründet, das Unterstützung für all diejenigen anbietet, die versuchen, schwanger zu werden, durch eine schwierige Schwangerschaft gehen, mit einer Fehlgeburt umgehen müssen, ein Geburtstrauma haben oder unter einer Wochenbettdepression leiden.

Zuletzt: Hast du es jemals bereut, Wunscheltern als Leihmutter geholfen zu haben?

Niemals. Meine Leihmutterschaften sind etwas, worauf ich wirklich stolz bin und ich bin so dankbar, dass sie Teil meiner Geschichte sind.

Vielen Dank für deine Zeit, Ariel!

Mehr Infos und Kontakt zu Ariel Taylor: www.carriedwithlove.com (Öffnet in neuem Fenster)

Carried With Love: Fertility | Surrogacy | Post Partum Counselling Services

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