Weltweit leiden ungefähr 17 Millionen Menschen an der Krankheit ME/CFS
(Myalgische Enzephalomyelitis/das Chronische Fatigue-Syndrom), eine schwere Autoimmunerkrankung, die sich nach aktuellem Forschungsstand meist aus dem Pfeifferschen Drüsenfieber entwickelt. Allein in Deutschland haben schätzungsweise 250.000 Menschen damit zu kämpfen, darunter 40.000 Kinder und Jugendliche. Ein Viertel der Erkrankten könne das Haus nicht mehr verlassen, ungefähr 60% sind laut Deutscher Gesellschaft für ME/CFS arbeitsunfähig. Mit das Schlimmste an dieser Situation sei hiermit vorweggenommen: Aufgrund fehlender Forschungsmittel ist aktuell kaum Besserung in Sicht.
Elena Mayr (21) leidet bereits seit elf Jahren an ME/CFS. Die junge Bloggerin ist inzwischen auf Instagram erfolgreich und freut sich darüber, auf diese Weise finanziell unabhängig zu sein, denn außer Haus zu arbeiten oder auch allein zu wohnen ist für Elena aufgrund von ME/CFS unmöglich. Täglich postet sie zu mentaler Gesundheit und hilft anderen Menschen durch schlechte Zeiten. Dies helfe ihr automatisch dabei, ihre eigene Situation besser zu bewältigen.
Symptome und Diagnose
Von ersten Symptomen bis zur Diagnose vergingen bei Elena ganze acht Jahre. Es ist häufig der Fall, dass Betroffene bis zur Gewissheit einen langen Weg und einen „Ärzte-Marathon“ hinter sich haben. Viele Ärzt:innen kennen die Krankheit nicht ausreichend, weshalb oft Fehldiagnosen in Form von Depressionen oder anderen psychischen Erkrankungen gestellt werden oder Patient:innen sogar falsch behandelt werden, was zu Verschlechterungen führen kann. Oft geht der Autoimmunerkrankung ein viraler Infekt vorher: Die Patient:innen erholen sich kaum und es folgen neurologische und kognitive Symptome, Immunstörungen, Muskel-, Gelenk- und Kopfschmerzen sowie Schlafstörungen. Erkrankte können aufgrund von Konzentrations- und Wahrnehmungsstörungen nicht mehr ihre gewohnten Leistungen abrufen, leiden unter Schmerzen am gesamten Körper oder auch grippeähnlichen Symptomen, haben einfach keine Energie mehr. Als wäre der Akku einfach leer, als wäre er überhaupt nie richtig aufgeladen oder hätte nur Kapazitäten von wenigen Prozenten, so beschreiben viele Betroffene ME/CFS . Im Extremfall liegen Erkrankte in abgedunkelten Zimmern, von jeglicher Geräuschkulisse isoliert und leben vor sich hin. Mit als eindeutigstes Signal für die Autoimmunerkrankung gilt inzwischen die sogenannte Post-Exertional Malaise (PEM), was bedeutet, dass sich alle ohnehin schon vorhandenen Beschwerden nach jeder geistigen oder körperlichen Anstrengung drastisch verschlimmern.
Alltag & Psyche
Elena erzählt von ihrem Alltag mit ME/CFS. Genau wie viele Betroffene ist sie in ihren Handlungen stark eingeschränkt.
„Alles, was mit körperlicher Betätigung zu tun hat (Sport, Spazierengehen, kurze Gehstrecken, Putzen, Wäsche waschen und so weiter) ist für mich aktuell nicht machbar, weil mir dazu die Kraft fehlt. Freunde zu treffen, gestaltet sich in der Regel auch sehr schwierig, vor allem wenn es darum geht, sich außerhalb zu verabreden. Wenn ich einen guten Tag habe, ist es aber kein Problem, wenn ich mich ein paar Stunden mit einem/einer Freund/in bei mir zuhause verabrede. Im Moment lebe ich noch bei meinen Eltern, da ich es nicht schaffen würde, mich um den Haushalt zu kümmern. Bald werde ich aber mit meiner Schwester zusammenziehen, was ein wichtiger Schritt für mich ist, auch wenn ich zumindest noch eine Zeit lang Hilfe brauchen werde. Ich bin aber unheimlich froh und dankbar, dass meine Familie mich so sehr unterstützt.“
Ohne Unterstützung wären Betroffene in ihrem Alltag oft aufgeschmissen. „Anstrengend, ermüdend und belastend“, beschreibt Elena ihre Krankheit. Es kommt hinzu, dass auch das Umfeld nach einer Diagnose zunächst begreifen muss, was ME/CFS eigentlich bedeutet. Auch für die Familie der Bloggerin war es zu Beginn schwer, die Situation und die Beschwerden zu begreifen. Die Eltern fühlten sich hilflos, wussten kaum, wie sie ihrer Tochter wirklich helfen können. So versuchen sie, den Alltag der erkrankten Person zu erleichtern und die Aufgaben des Alltags ( kochen, waschen) für sie zu übernehmen. Aber auch für Elena ist es enorm schwer zu spüren, dass sie einfach nicht das leisten kann, was sie leisten möchte, keinen Hobbys mehr nachgehen kann und in gewisser Art und Weise, mal mehr und mal weniger, vom eigenen Umfeld abhängig ist.
„Um ehrlich zu sein, ist es sehr schwierig, mit so einer Krankheit mental klarzukommen, vor allem wenn man Freund:innen sieht, die das junge Erwachsenenalter voll auskosten, indem sie reisen, Konzerte besuchen, Party machen, studieren und noch vieles mehr. Aber ich versuche, das Beste aus meiner Situation zu machen.“
Forschung, Politik & Gesellschaft
Seit 1969 stuft die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ME/CFS als neurologische Erkrankung ein, trotzdem ist seitdem nicht genug passiert. Die Forschung zu ME/CFS ist unterfinanziert, bisher schöpfte sie Gelder aus Spenden, ist aber auf staatliche Förderung dringend angewiesen. „Wir haben es hier mit einer Erkrankung zu tun, bei der wir beim Wissensstand ungefähr da sind, wo wir bei anderen Erkrankungen vor 30 oder 40 Jahren waren“, bringt Prof. Dr. Carmen Scheibenbogen, Leiterin der Immun-Defekt-Ambulanz der Charité Berlin gegenüber dem Fernsehsender Arte auf den Punkt. Die Konsequenz sei, dass Diagnosen nach wie vor nicht zielsicher genug gestellt werden können und vor allem keine Medikamente vorhanden sind, die Erkrankte heilen könnten. Aktuell geht man davon aus, dass das Immunsystem eine entscheidende Rolle spielt und Antikörper produziert, die die Energie erzeugenden Mitochondrien der Zellen angreifen. Noch immer sucht man nach Methoden, Transmitter im Blut zu identifizieren, die eindeutig auf die Autoimmunerkrankung hinweisen.
ME/CFS ist eine schwerwiegende Krankheit, trotzdem wissen zu wenige darüber Bescheid oder nehmen sie nicht ernst genug – Immerhin kennt es ja jeder mal, “einfach müde und erschöpft zu sein”.
An ME/CFS erkrankt zu sein, bedeutet jedoch etwas ganz anderes, als einfach mal einen schlappen Tag zu haben. ME/CFS bedeutet eine dauerhafte Einschränkung der Lebensqualität, hat Einfluss auf Beruf, Familie und jegliche Art von Beziehungen. Der Leidensdruck sei sowieso schon hoch genug, dann auch gedemütigt zu werden, sei besonders als Kind und Jugendliche unerträglich gewesen, berichtet Elena.
Sie wünscht sich endlich mehr Investition in die Forschung zu ME/CFS seitens der Politik. Außerdem sei Aufklärung und öffentliche Aufmerksamkeit wichtig. Elena habe die Erfahrung gemacht, dass Menschen Betroffenen mit Unverständnis und fehlender Ernsthaftigkeit entgegentreten:
„Ich glaube, bei einer Krankheit ist es meist am schlimmsten, wenn einem nicht geglaubt wird, so geht es zumindest mir. Einer außenstehenden Person würde ich immer empfehlen: Zeige Verständnis. Sei nicht böse, wenn die kranke Person etwas nicht schafft, sie wünscht sich selbst, es wäre anders. Wenn du selbst die Kapazität hast: Frage nach, ob er/sie Hilfe benötigt. Stelle keine Vergleiche auf wie „Ich bin auch oft müde“, das ist einfach nicht dasselbe und als Betroffene:r fühlt man sich schnell weniger ernst genommen, auch wenn das nicht die Intention des Gegenübers war. Und ganz wichtig: Hab Mitgefühl. Du musst nicht mitleiden, allein ein „Ich verstehe dich und ich bin da, wenn du mich brauchst“ ist ein riesiges Geschenk für uns.“