von Sarah Schulze
Ein Großbrand im größten Flüchtlingscamp der Welt in Bangladesch zerstörte Anfang März 2.000 Unterkünfte, vernichtete Krankenhäuser und andere öffentliche Einrichtungen – und machte 12.000 Menschen obdachlos. Bei diesen Zahlen grenzt es an ein Wunder, dass das Feuer keine Todesopfer forderte.
Die Situation ist dramatisch. „Wir haben immer noch Angst, dass es wieder brennen könnte. Hier gibt es weder Sicherheit noch Schutz“, beschreibt Flüchtling Tin Lwin die Situation gegenüber der britischen Tageszeitung The Guardian. Es war nicht der erste Großbrand im überfüllten Flüchtlingslager im Distrikt Cox’s Bazar im südöstlichen Bangladesch. Auf engstem Raum leben in diesem sogenannten Megacamp sowie weiteren Camps in der Region insgesamt fast eine Million vertriebene Menschen der muslimischen Minderheit Rohingya. In ihrer Heimat, dem benachbarten Myanmar, wurde und wird die Volksgruppe verfolgt, diskriminiert und in ihren Menschenrechten bis zum Äußersten eingeschränkt – laut UN sind sie die am meisten verfolgte Minderheit der Welt.
Warum werden die Rohingya in ihrer Heimat verfolgt?
Seit der Unabhängigkeit Myanmars von Großbritannien 1948 werden die Rohingya systematisch verfolgt – laut Auswärtigem Amt führte die Regierung immer wieder militärische Operationen zur Zerstörung der Lebensgrundlage der Minderheit durch. Diese ließen seitdem über eine Million Menschen zu Vertriebenen werden. Die meisten von ihnen flüchteten in Myanmars Nachbarland Bangladesch.
1982 erklärte das buddhistische Myanmar die muslimischen Rohingya für staatenlos und entzog ihnen das Recht, sich als eigene religiöse Gruppe zu identifizieren; damit sind sie de facto rechtlos. Die religiösen Unterschiede zwischen der Volksgruppe und dem Staat Myanmar sowie ihre eigene Sprache und Kultur gelten als die Hauptgründe für Diskriminierung, Ausgrenzung und Verfolgung.
Des Weiteren rechtfertigt der Staat Myanmar seine Handlungen gegen die Rohingya mit deren angeblicher bengalischer Herkunft: Sie seien illegale Einwanderer aus Bangladesch. Forscher sind sich bis heute nicht sicher, ob diese Theorie stimmt.
Militärische Offensive führt zur größten Flüchtlingswelle
Die von gewaltsamen Auseinandersetzungen geprägten Jahrzehnte kumulierten in der Eskalation des Konfliktes im August 2017 – und damit in der bisher größten Rohingya-Flüchtlingswelle. Nachdem militante Rohingya-Kämpfer tödliche Angriffe auf mehr als 30 Polizisten verübt hatten, startete das Militär Myanmars eine Offensive gegen die gesamte muslimische Minderheit. Unterstützt von einheimischen Mobs zerstörten sie Rohingya-Dörfer, vertrieben und töteten Menschen. Mindestens 6.700 Rohingya, darunter rund 730 Kinder unter fünf Jahren, wurden nach Angaben der medizinischen Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen im Monat nach Ausbruch der Gewalt getötet.
Der damalige Hohe Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Seid al-Hussein, bezeichnete das Vorgehen des Militärs als „Lehrbuchbeispiel für ethnische Säuberung.“
Welche Perspektive haben die Flüchtlinge?
Die gewaltsame Eskalation löste eine massive Flüchtlingswelle der Rohingya über die Landesgrenzen nach Bangladesch aus. Fast 750.000 Menschen flüchteten nach Angaben der UNO-Flüchtlingshilfe Deutschland in das Nachbarland und ließen sich in einem schon bestehenden Camp nieder. Das mit insgesamt einer Million Flüchtlinge größte Flüchtlingslager der Welt besteht seitdem aus mehr als 30 einzelnen Camps.
Als eines der ärmsten Länder der Welt ist Bangladesch der gewaltigen Menge an Flüchtlingen nicht gewachsen – die Situation vor Ort ist besorgniserregend. Neben der schlechten Versorgung an sich und notdürftigen Sanitäranlagen brechen in den einzelnen Camps immer wieder Brände aus. Hilfsorganisationen erklären diese mit der vorherrschenden Enge und leicht entzündlichen Baumaterialien wie Bambus und Planen. Einem Bericht des bengalischen Verteidigungsministeriums zufolge gab es zwischen Januar 2021 und Dezember 2022 über 220 Brandvorfälle in den Rohingya-Lagern, darunter 60 Fälle von Brandstiftung. Das bislang verheerendste Feuer zerstörte im März 2021 mehr als 10.000 Unterkünfte, machte über 50.000 Flüchtlinge obdachlos und tötete mindestens 15 Menschen.
Im Februar dieses Jahres erklärten die Vereinten Nationen, dass sie die Lebensmittelrationen für Rohingya-Flüchtlinge um 17 Prozent kürzen müssten, da die internationalen Spenden versiegten. Als Hauptgrund nannten sie den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine.
In dieser Situation nehmen immer mehr Menschen die Flucht über das Meer nach Indonesien und Malaysia auf sich. Mehr als 3.500 Rohingya versuchten laut UNO-Flüchtlingshilfe Deutschland im Jahr 2022 in 39 Booten die gefährliche Überfahrt – ein Anstieg um 360 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Dabei starben mindestens 348 Menschen oder gelten als vermisst, die meisten von ihnen Rohingya – eines der tödlichsten Jahre für die Rohingya auf See seit fast einem Jahrzehnt.
Wie kann sich die Situation verbessern?
Zur Verbesserung der Bedingungen im Flüchtlingslager bildet das UN-Flüchtlingswerk laut Marius Tünte, Pressesprecher der UNO-Flüchtlingshilfe Deutschland, seit Jahren Teams von Freiwilligen für Notfälle im Camp aus: Erste Hilfe, Feuerbekämpfung, Rettung bei Erdrutschen oder Ertrinken. Gleichzeitig wurden und werden im Flüchtlingslager stetig Hänge stabilisiert, Wasserdrainagen und Wasserauffangbecken installiert sowie Bewohner:innen aus gefährdeten Unterkünften umgesiedelt.
Neben einer größeren öffentlichen Aufmerksamkeit über die Lage im Camp und die fehlenden finanziellen Mittel sieht Tünte vor allem eins als wichtig an: “Die Anerkennung der Grundrechte der Rohingya durch die Regierung in Myanmar ist die Voraussetzung dafür, dass die Flüchtlinge in ihre früheren Häuser in dem Land zurückkehren können.” Ob dieses Szenario in Zukunft Realität wird, ist jedoch fraglich: Seit das Militär Anfang 2021 die Macht in Myanmar an sich gerissen hat, befindet sich das Land im Ausnahmezustand. Dadurch ist das Leben für die Rohingya dort noch gefährlicher geworden.
John Quinley, Direktor der Nichtregierungsorganisation Fortify Rights, sieht deshalb laut The Guardian nur noch einen Weg, das Leben annehmbarer für die Menschen im größten Flüchtlingscamp der Welt zu gestalten: “Bangladesch muss dauerhafte Lösungen für die Rohingya schaffen, das heißt den Rohingya eine Art Rechtsstatus, Bewegungsfreiheit und Zugang zum Lebensunterhalt gewähren.”