Der deutsche Genozid (Öffnet in neuem Fenster) an den Ovaherero und Nama in Namibia (1904-1908) war der erste Völkermord des 20. Jahrhunderts. Während der gesamten deutschen Kolonialherrschaft wurde die namibische Bevölkerung enteignet, entrechtet und rassistisch unterdrückt. Menschliche Knochen und Schädel sowie Raubkunst aus kolonialen Kontexten haben noch immer ihren Platz in deutschen Museen (Öffnet in neuem Fenster).
Die Kolonie Deutsch-Südwestafrika war seit 1884 die erste Kolonie des Deutschen Kaiserreiches.
Im Januar 1904 haben sich die Herero gegen die Kolonialherrschaft aufgelehnt, weil immer mehr gewaltsame Übergriffe seitens der Siedler und Händler gegen die einheimische Gemeinschaft stattfanden. Der Aufstand der Herero eskalierte aber und wurde von deutschen Truppen zum Anlass für eine Vernichtungsstrategie mit sogenannten „Vernichtungsbefehl“ genommen, um die Herero aus dem Territorium im deutschen „Schutzgebiet“ in die Wüste zu vertreiben oder zu ermorden.
Viele Tausende Herero sind diesem Vernichtungsbefehl zum Opfer gefallen. Die wenigen Überlebenden wurden zum großen Teil in Konzentrationslager gebracht, in denen die kulturelle Selbstständigkeit der Gruppe gänzlich zerschlagen wurde. Es gab Arbeitspflicht, Markenpflicht (eine Kette mit Nummer) und keine angemessene Lebensmittel- oder Trinkwasserversorgung. Natürliche Ressourcen des Landes wurden abgebaut (Öffnet in neuem Fenster) (u.a. Erz für die Eisengewinnung für den Bau der deutschen Eisenbahn und des dazugehörigen Schienennetzes) und nach Deutschland geschafft.
Etwas mehr als 100 Jahre später dringt allmählich das Bewusstsein für koloniale Verbrechen in den ehemaligen Kolonialstaaten nach Deutschland.
Wenn überhaupt wusste man vage: „Gewalt im Kolonialismus kam halt vor (Öffnet in neuem Fenster)“. Es wurde aber nicht als Geschehen mit nennenswertem Unrechtsgehalt gesehen. Erst mit der Aufarbeitung des Holocaust sind deutsche Gewaltverbrechen endlich in das Bewusstsein der deutschen Zivilgesellschaft gedrungen.
Während Kolonialverbrechen historisch mittlerweile aufgearbeitet werden, kann man das von einer rechtlichen oder wissenschaftlichen Aufarbeitung weniger behaupten. Ehemalige Kolonialmächte (darunter Deutschland) versuchen sich ihrer historischen, moralischen aber auch politischen Verantwortung zu entziehen.
Zwar erkennt die deutsche Regierung den Völkermord aus heutiger Perspektive an, doch bis heute weigert sie sich, angemessene Reparationen zu leisten, Immerhin werden die Kolonialverbrechen und ihre Auswirkungen derzeit immer öfter und immer offener diskutiert.
Ein Türöffner für eine gesamtgesellschaftliche Debatte zur deutschen Kolonialgeschichte in Namibia bietet der Film „Der vermessene Mensch“, (Öffnet in neuem Fenster)der am 23. März 2023 in die deutschen Kinos kommt . Er spielt Ende des 19. Jahrhunderts und handelt von einem ehrgeizigen Ethnologie-Doktoranden namens Alexander Hoffmann, der im Zuge der „Deutsche Kolonial Ausstellung“ (Völkerschau) ein intensives Interesse an den Herero und Nama entwickelt. Seine Beobachtungen der angereisten Gruppen aus „Deutsch-Südwestafrika“ führen zu einer Ansicht, die der weit verbreiteten evolutionistischen Rassentheorie widerspricht. Nachdem der Aufstand der Herero und Nama in der deutschen Kolonie Namibia niedergeschlagen wird und die Kolonialherren einen blutigen Vernichtungskrieg und Vertreibung beginnen, reist Hoffmann im Schutz der kaiserlichen Armee durch das Land und sammelt für das Berliner Völkerkundemuseum zurückgelassene Artefakte und Kunstgegenstände und weitere Beweise für seine These. Er erlebt dabei mit, wie deutsche Soldaten mit unmenschlicher Härte den Vernichtungsbefehl ausführen. Doch auch der Ethnologe überschreitet zunehmend moralische Grenzen, als er einwilligt, seinem Berliner Professor Schädel und Skelette von toten Herero zum Zwecke der Forschung zu schicken.
Nicht nur in Namibia hat der Kolonialismus seine Spuren und Wunden hinterlassen. Die systematische Aneignung von Reichtum, Kunstschätzen und Rohstoffen führte in den ehemaligen Kolonien zu sozialer und wirtschaftlicher Ungleichheit, was sich bis heute auswirkt. Die rassistische Gewalt hat generationsübergreifend Traumata bei den Menschen hinterlassen.
Auch wenn sich mittlerweile die Rechtswissenschaft und weitere Disziplinen mit dem Thema befassen und sich bemüht mit Respekt und Einsicht der dringenden Notwendigkeit von Aufarbeitungsprozesse des kolonialen Unrechts annimmt, muss der Prozess um eine einfache „Geste des Anerkenntnisses“ hinausgehen. Dies ist bisher aber noch nicht geschehen. Vielmehr sind die Interessen der geschädigten Menschen zu berücksichtigen, das Begehren auf Rückführung von Gebeinen der ermordeten Ahnen (Öffnet in neuem Fenster), der geraubten spirituellen Kulturobjekte und Artefakte sowie eine Entschädigung für die nachhaltigen seelischen (Öffnet in neuem Fenster) und wirtschaftlichen Folgen.
Der Bericht der damaligen UN Sonderberichterstatterin (Öffnet in neuem Fenster) E. Tendayi Achiume zu Rassismus, Rassendiskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und alltägliche Formen des Rassismus zeigt auf, dass es eine Verbindung zwischen Kolonialismus und Kolonialunrecht einerseits und gegenwärtigen Formen von Rassismus und rassischer Diskriminierung gibt. Der Bericht weist daraufhin, dass Aufarbeitung, Wiedergutmachung und Entschädigung ein Mittel seien, Rassismus zu begegnen. Zur Umsetzung der Wiedergutmachungsforderungen braucht es einen entsprechenden politischen Willen in Deutschland und eine bisher noch nicht ausreichend große öffentliche Wahrnehmung und Sensibilisierung unserer Kolonialvergangenheit. Bisher haben sich dem Thema nur ein paar wenige Organisationen wie beispielsweise Forensic Architecture (Öffnet in neuem Fenster) oder Leitmedien wie der Spiege (Öffnet in neuem Fenster)l angenommen.