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Schlagwort: Elisabeth koblitz

Grausame Zwänge der Inklusion

Ich schlendere durch den Park. Es ist frisch draußen. Ich würde mich gerne in ein Café setzen, aber durch Corona hat alles dicht. Seit einer Stunde drehe ich hier Runde für Runde. Eine weitere Stunde werde ich noch durchhalten müssen, bis ich meinen neun Jahre alten Sohn abholen darf. Er hospitiert gerade auf der Kinderstation der hiesigen Kinder- und Jugendpsychiatrie. Sollte er sich eine Behandlung dort vorstellen können, wird es sein sechster Aufenthalt in einer psychiatrischen Einrichtung binnen dreier Jahre sein.
Die Diagnosen der unterschiedlichen Ärzt:innen, sie würden mittlerweile ein halbes Buch füllen:

Kombinierte Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen. Affekt- und Impulsregulationsstörung. Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung.
Ausgeprägtes Vermeidungs- und Verweigerungsverhalten. Autistische Symptomatiken.
Inzwischen: Hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens. Autismus scheint unwahrscheinlich, kann aber nicht ausgeschlossen werden, da mein Sohn die Testung verweigert.
Die letzte Behandlung endete abrupt im Herbst letzten Jahres. Mein Sohn erlitt einen Meltdown (Anm. Ein Meltdown ist eine reflexartige und unkontrollierbare Handlung von Autisten. Dabei schreit oder schimpft der/die Betroffenem schlägt und boxt ums sich etc.).

Er schrie, tobte, griff zu einer Hängematte und schleuderte diese über seinem Kopf, um sich die Mitarbeiterinnen vom Hals zu halten. Das überforderte Personal der psychiatrischen Tagesklinik rief die Polizei zur Hilfe. Vier uniformierte Beamt*innen trugen meinen Sohn – zwei an den Armen, zwei an den Beinen – in einen fenster- und möbellosen Raum und verschlossen die Tür. Er blieb über Stunden in diesem Raum. Allein und nach mir rufend. Als ich eintraf informierte man mich, er dürfe die Station nicht mehr betreten. Man würde uns seine restlichen Sachen vor die Tür bringen und dann mögen wir bitte gehen. Drei Tage später folgte ein Fachgespräch zwischen der Klinik und Vertretern der schulischen Einrichtung – über dessen Ausgang wurde ich im Nachhinein informiert. Ich müsse meinen Sohn in die Psychiatrie geben. Andernfalls: drohende Kindeswohlgefährdung. Verlust des Aufenthaltsbestimmungsrecht.
Verlust der Gesundheitsfürsorge.

Wie alles anfing. Ein Rückblick

Mein Sohn ist schon seit seiner Geburt ein bisschen anders. Ein „Schreibaby“, wie es so schön heißt. Er war ein schlechter Schläfer und komplizierter Esser. Von dieser rosapastelligen Zuckrigkeit, die der frischen Mutterschaft anhängt war bei uns nichts zu spüren. Schlussendlich zerbrach die Beziehung zum Vater unter der Last der ersten Monate mit Baby. 

Als unser Sohn fünf Monate alt wurde, bewarb ich mich um einen von sechs Plätzen einer bindungsbasierten Mutter-Kind-Therapie. Ich durchlief ein kompliziertes Bewerberinnenprozedere, beantwortete unzählige Fragen zu den Umständen der Schwangerschaft, der Geburt und meiner Biografie. Sechs Monate wurden wir engmaschig durch eine videoanalysegestützte Therapie begleitet, in der ich viel über Kommunikationsweisen von Säuglingen lernte und ständig zur Selbstreflexion angehalten wurde.

Als unser Sohn vier Jahre alt war sprach mich unsere Kinderärztin zum ersten Mal auf die Option einer Psychotherapie für unseren Sohn an.
Er sei anders. Auffällig. Er wirke ungebremst, impulsiv.
Das solle man im Auge behalten. Also wurden wir in einer Kinder- und Jugendpsychiatrischen Praxis vorstellig. Dort durchlief unser Sohn ein diagnostisches Verfahren. Er sei in einem hohen Maße feinfühlig. Sowohl seine Emotionen als auch die Gefühle anderer Menschen nehme er übermäßig ausgeprägt wahr. Zeitgleich sei seine Fähigkeit Emotionen zu regulieren kaum vorhanden. Das sei eine ungute Mixtur.
Ich suchte und fand einen Therapieplatz bei einem Kinder- und Jugendpsychotherapeuten. 

Als unser Sohn fünf Jahre alt war, wechselte er vom Kindergarten in die Vorschule innerhalb einer Grundschule. Ich hoffte, der seichte Wechsel vom spielerischen Alltag eines Kita-Besuches hin zum anspruchsvolleren Schultag würde ihm so leichter fallen. Die Ernüchterung folgte noch am ersten Tag. „Der geht ja mal gar nicht“, sprach die Vorschullehrerin und nickte in Richtung meines spielenden Kindes. Es folgten zwei Wochen, in denen ich täglich angerufen wurde und man mich bat, meinen Sohn umgehend abzuholen. Schließlich wurde er suspendiert. Ich nahm ihn von der Schule. Er war noch nicht schulpflichtig, ich aber berufstätig, alleinerziehend und auf Betreuung angewiesen. Der Kindergarten wollte ihn nicht wieder aufnehmen. So stand ich da also, mit meinem Kind an der Hand und war ratlos. 

Jahrelange Odyssee: die Suche nach dem richtigen Platz in diesem System

Ich kontaktierte eine Tagesklinik der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Es folgte ein zweimonatiger Aufenthalt im teilstationären Bereich. Von dort wechselten wir für drei Monate in den vollstationären Bereich. Von dort wechselten wir für wieder zwei Monate in den teilstationären Bereich. Da ein Kind immer Teil eines Systems ist, wird das System als solches direkt mitbehandelt. Wie gehen Eltern und Kind miteinander um? Stimmt die Erziehungshaltung? Verfügen die Eltern über ausreichend Kompetenzen und Ressourcen, um den Herausforderungen der Erziehung standhalten zu können? Die Eltern-Kind-Interaktion wird beobachtet, sie wird analysiert und ausgewertet. Sie wird bewertet. Erschreckend häufig sogar abgewertet. Ich saß schon in unzähligen Gesprächsterminen, habe meine eigene Kindheit seziert und erforscht, warum ich als Mutter bin wie ich bin. Ob das gut und richtig ist oder überarbeitungswürdig. Wie geht es anders, besser? Wie trete ich auf, wie sage ich etwas, wie meine ich etwas, wie denke ich etwas. 

Als unser Sohn sechs Jahre alt war, sagte man ihm das erste Mal, er würde von zu Hause ausziehen müssen, wenn er die Sache mit der Wut und der Schule nicht in den Griff bekäme.

Während dieser insgesamt sieben Monate versuchte das Klinikpersonal mit Unterstützung des Jugendamtes händeringend einen geeigneten Betreuungsplatz für unseren Sohn zu finden. Ein Kindergarten kam nicht infrage. Ein Besuch der ersten Klasse auch nicht. Es fand sich keine Vorschule, die ihn aufnehmen wollte. Es gab einfach keinen Platz für ihn. Schließlich ließ sich eine Schulleiterin erweichen. Mein Sohn erinnere sie an ihren Neffen, sagte sie. Die Vorschullehrerin erwies sich als Glücksfall. Sie war offen, unvoreingenommen, zugewandt und positiv. Und dennoch: Die Aufnahme meines Sohnes erfolgte unter einer strengen Auflage. Ich durfte während des Unterrichts das Schulgebäude nicht verlassen. Ich war das Notfallprogramm. Sollte mein Sohn die Fassung verlieren, dann war ich da, um ihn aufzufangen. 

Als unser Sohn sechs Jahre alt war, sagte man ihm das erste Mal, er würde von zu Hause ausziehen müssen, wenn er die Sache mit der Wut und der Schule nicht in den Griff bekäme. Er würde dann in einer Wohngruppe leben müssen, zu der auch eine Schule gehöre. Er könne dann nicht länger bei seiner Mutter leben.
Ein Schlag in meine mütterliche Magengrube. Angst und Entsetzen in den Augen meines Kindes.

„Wie oft wird man die ‚Kindeswohlgefährdungs-Keule‘ noch schwingen?“

Zur Einschulung in die erste Klasse wechselte mein Sohn von der Vorschule in eine temporäre Lerngruppe. Ein Lernort, an dem hochauffällige Kinder in einer Kleinstgruppe von maximal sechs Kindern beschult werden. Er wäre lieber an der anderen Schule geblieben. Er durfte nicht. Sollte es an der neuen Schule doch nicht funktionieren, könne man mir das als Kindeswohlgefährdung auslegen, sagte man mir. Ich solle vorsichtige Entscheidungen treffen, raunte man mir ins Ohr. Also willigte ich ein.

In besagter Kleingruppe suspendierte man ihn noch am ersten Schultag. Ich habe es kommen sehen. Man sei genau die richtige Einrichtung, hießt es in den Vorgesprächen. Solche Kinder seien ihre Kernkompetenz. Mit Eltern rede man nicht viel vor Aufnahme in die Gruppe. „Wissen Sie“, sagte mir der Leiter damals, „die Gespräche sind so defizitorientiert. Das vertragen Eltern nicht so gut.“ Meine Frage wäre gewesen, hätte man mich sprechen lassen: Wie möchte eine temporäre, pädagogisch ausgerichtete Gruppe einem psychisch kranken Kind dauerhaft helfen seinen Platz in einem Schulbetrieb zu finden, der nachweislich keinen Platz für neurodiverse Kinder hat? Für Kinder, die anders wahrnehmen, fühlen, verarbeiten oder kurz gesagt für den Umstand, dass wir nicht alle gleich sind, an einem Ort wie Schule aber tendenziell gleich gemacht werden?

Diese Frage steht bis heute ungeklärt im Raum. Die Antwort des Systems nach der Suspendierung lautete, man sei das Ende der Fahnenstange. Kriege mein Sohn seine Schulangelegenheiten an dieser Stelle nicht in den Griff, würde ich unweigerlich vor das Familiengericht zitiert werden und müsse mich dem Vorwurf der drohenden Kindeswohlgefährdung stellen. Häufig würden diese Verfahren mit der Herausnahme des Kindes aus der Familie enden. 

Ich stehe nicht erst seit Beginn der Coronakrise mitten im Chaos und frage mich, wie oft man die Kindeswohlgefährdungs-Keule wohl noch schwingen möchte, um mich als Mutter gefügig und mundtot zu machen. Liebe Gesellschaft, wir haben ein Problem. Neurodiverse Kinder sind real. Seelisch behinderte Kinder, psychisch kranke Kinder, sie sind da, sie sind echt und sie haben einen Platz in der Mitte der Gesellschaft verdient. Einen, der sie nicht labelt und etikettiert, der sie nicht abstempelt und brandmarkt; der sie nicht exkludiert, wo er inkludieren sollte. Es ginge um Geld, sagte man mir schon so häufig. Schul- und Betreuungsplätze für „diese Kinder“ seien massiv kostenintensiv. Und ich sage: Mein Kind ist kein gewinnorientiertes Projekt, bei dem man sich überlegen muss, ob sich eine Investition lohnt. Egal wie krank, wie besonders und divers Kinder sind– sie alle müssen zur Schule.
Sie müssen. Sie haben keine Wahl. Sie müssen sich dem System beugen, andernfalls beugt man die Kinder, beugt die Eltern. Formt und knetet an ihnen herum, presst sie in jedes noch so unpassende System – ganz im Sinne der Pflichterfüllung. 

Ich nehme das nicht hin.


Was läuft in unserem System schief?

Inklusion ist mehr als das Wort auf dem Cover eines Konzepts, ohne dieses mit Inhalt zu füllen. Inklusion bedeutet nicht, dass sich Diversität der Norm unterzuordnen und anzupassen hat. Für uns bleibt gefühlt die Wahl zwischen Versagen an der Regelschule oder Fremdunterbringung. Das große Dazwischen, das, was mit inklusiven Maßnahmen, mit therapeutischen und heilpädagogischen Hilfsangeboten gefüllt sein sollte, ist im schulischen Kontext praktisch nicht vorhanden. Wie soll man Teil von etwas werden, wachsen, heilen und lernen, ist man entweder unsichtbar oder Störfaktor für das System?

 Ich bin kein Fan von Inklusion, um es mal milde auszudrücken. Und ich bin deshalb kein Fan, weil es in fast allen Fällen zu Lasten der „zu inkludierenden Person“ geht. Inklusion darf nicht bedeuten alle gleich zu behandeln, weil schlichtweg nicht alle gleich sind. Und Inklusion darf nicht bedeuten, einen zum Systemversager zu machen und ihn auszusortieren. Ihm seine Selbstbestimmung abzuerkennen und lieber das System Familie an den Pranger zu stellen und auseinanderzureißen – weil, wer soll es denn schon so massiv verbockt haben, wenn nicht die Eltern? Das ist nicht okay.

Die letzte Lösung des Systems ist es, das betroffene Kind aus der eigenen Familie zu nehmen. Das ist skandalös

Und wenn in Gutachten steht, mein Sohn sei nicht in der Verfassung für inklusive Beschulung, dann akzeptiere ich das. Aber dann braucht es etwas anderes und dieses „etwas anderes“ das gibt es nicht. Denn so lautet das Gesetz in Hamburg. Allen Kindern steht ein Platz an einer Regelschule zu, denn „wir sind so wahnsinnig inklusiv, wir kriegen alle unter einen Hut.“ Nein, kriegt ihr nicht. Es gibt temporäre Lerngruppen. Fein, hilft aber bei Problemen nicht, die nicht temporärer Art sind.
Es gibt heilpädagogische und therapeutische Tagesgruppen. Fein, hilft aber in der Beschulungsproblematik nicht weiter. Ich sage nicht, es gäbe eine einfache Lösung. Fakt ist aber, es gibt ein Problem. Und um das zu lösen, muss dieses Problem endlich einmal anerkannt werden. Doch die Rückmeldungen Betroffener, wie uns, werden nicht ernst genommen. Auf sie wird nicht reagiert. Beziehungsweise, die letzte Lösung des Systems lautet: das betroffene Kind aus der eigenen Familie zu nehmen. Das ist skandalös. 

Darf Deutschland beim Töten helfen?

Anfang Januar 2020 wurde der iranische Top-General Qassem Soleimani auf Befehl des damaligen Präsidenten Trump im Irak durch eine Kampfdrohne der Kategorie MQ 9 getötet. Die Tötung war völkerrechtswidrig, urteilte die überwiegende Mehrheit der Völkerrechtswissenschaft.
Auch die Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen Agnes Callamard bezeichnete die gezielte Tötung auf Soleimani als ungesetzlich und als Verstoß gegen die internationalen Menschenrechte. 

Deutsche Beteiligung für US-Drohnentötungen 

Was vielen vielleicht gar nicht bewusst ist: Ohne deutsche Unterstützung wäre der Angriff nicht möglich gewesen, denn der Einsatz derartiger Kampfdrohnen in Konfliktgebieten wird über die US-Militärbasis Ramstein in Rheinland-Pfalz koordiniert – dem größten US-Militärstützpunkt außerhalb der Vereinigten Staaten. Darauf befindet sich eine Satelliten-Relaisstation, über die der Datenstrom zur Fernsteuerung von Kampfdrohnen in verschiedenen Einsatzgebieten in Echtzeit geleitet wird. Darüber hinaus werden Überwachungsbilder ausgewertet und Schlüsseldaten verarbeitet, die maßgeblich für die konkreten Angriffsausführungen sind. Ramstein gilt als der größte Knotenpunkt für Drohnensignale außerhalb der USA und ist, wie Recherchen von Süddeutsche Zeitung, NDR und WDR 2014 offenlegen, unverzichtbar für das globale Drohnenprogramm der Amerikaner

Die Wichtigkeit des Stützpunktes für die US-Luftwaffe auf deutschem Boden bestätigte der frühere US-Drohnenpilot Brandon Bryant zuletzt in seiner Vernehmung vor dem NSA-Untersuchungsausschuss. Er berichtete, dass jede einzelne Dateninformation, die zu Fluggeräten oder Mannschaften übertragen wird, über Ramstein liefe. 

Menschenrechtswidrige Hinrichtung oder erlaubte Tötung im Krieg?

Irak, Afghanistan, Pakistan, Somalia, Libyen und Jemen. Das sind derzeit die Einsatzgebiete für den amerikanischen „Kampf gegen den Terror“. Dort werden Menschen aus unbemannten Flugzeugen getötet.
Der Soldat, der den Abzug drückt, ist nicht in der Nähe des Einsatzortes, sondern sitzt tausende Kilometer entfernt irgendwo vor einem Bildschirm, in der Hand eine Kontrollkonsole, die an ein Videospiel-Joystick erinnert. Drohnentötungen sind rechtlich schwer überprüfbar, weil es sich unter gewissen Umständen um eine erlaubte Tötung im Krieg handeln kann – oder eben um eine menschenrechtswidrige Hinrichtung ohne Urteil. Trotz erheblicher rechtlicher Bedenken wird für den Einsatz von Kampfdrohnen argumentiert, dass diese präziser und effektiver seien, als bemannte Flugzeuge. In der Realität kommt es jedoch immer wieder zu Angriffen auf Zivilisten und nicht militärische Einrichtungen.
Während man bei der Air Force bei solchen Fällen von Kollateralschäden spricht, sieht die deutsche Justiz bei der Kriegsführung durch Drohneneinsätze eine erhebliche Gefahr für das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit und mahnt, dass das Völkerrecht bei derartigen Einsätzen teilweise nicht eingehalten wird. 

Deutsche Mitverantwortung

Die Mitverantwortung Deutschlands für Drohnenangriffe im Nahen Osten beschäftigt seit 2014 die deutschen Verwaltungsgerichte. Geklagt hatten drei Jemeniten mit Unterstützung des ECCHR (European Center for Constitutional and Human Rights) vor dem Verwaltungsgericht in Köln und später vor dem OVG Münster. Sie forderten von der Bundesrepublik, die Nutzung der Air Base Ramstein durch die USA als Satellitenrelaisstation (Grundlage hierfür ist der NATO-Truppenstatut aus den 1950er Jahren) im Rahmen von Drohneneinsätzen zu kontrollieren und im Fall von Rechtsverstößen zu unterbinden. 

Vier Raketen, abgefeuert von US-Drohnen, schlugen am Abend des 29. August 2012 auf einer Hochzeitsfeier in Khashamir im Osten des Jemen ein. Die Kläger überlebten den Angriff, verloren aber mehrere Familienangehörige dabei und sind bis heute schwer traumatisiert. Sie fürchten seither um ihr eignes Leben und berufen sich auf die Lebensschutzgarantie aus Art. 2 Abs 2 GG:
Die Bundesregierung sei verpflichtet das Leben von Menschen auch außerhalb der Bundesrepublik zu schützen, soweit sie darauf Einfluss hat. 

Die Klage hatte in zweiter Instanz Erfolg.
Die Richter:innen in Münster stellten sich einem heiklen Unterfangen, denn mit ihrem Urteil war politische Einmischung – auch noch in den sensiblen Bereich der Außenpolitik – vorprogrammiert.
Die Bundesregierung bekam vom OVG Münster außenpolitische Hausaufgaben: Sie wurde gerichtlich verpflichtet, künftige US-Drohneneinsätze über Ramstein durch geeignete Maßnahmen zu kontrollieren.
Dabei sei sicherzustellen, dass sich direkt bewaffnete Angriffe ausschließlich auf zulässige militärische Ziele beschränken und völkerrechtskonform sind. Damit trifft die Bundesregierung eine aktive Nachforschungspflicht gegenüber dem großen Bündnispartner jenseits des Atlantiks, um das zivile Leben im Ausland zu schützen. 

Eine derartig rechtsstaatliche Prägung deutscher Außenpolitik akzeptierte die deutsche Bundesregierung jedoch nicht und legte gegen dieses Urteil Revision vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig ein. 

Wegschauen verletzt nicht das Recht auf Leben: Drohnenurteil des Bundesverwaltungsgerichts

Die Revision hatte Erfolg. Die Leipziger Richter:innen des Bundesverwaltungsgerichts stellten  mit ihrer Entscheidung vom November 2020 sicher, dass es zu keinem diplomatischen Eklat  kommt und wahren die außenpolitisch freie Handlungsfähigkeit der deutschen Bundesregierung. 

Zwar wird die grundrechtliche Schutzpflicht Deutschlands gegenüber im Ausland lebenden Menschen anerkannt.
Die Abweisung der Klage wurde unter anderem aber damit begründet, dass sich die Bundesregierung bereits eine Zusicherung der USA eingeholt habe, dass Aktivitäten aus US-Militärliegenschaften in Deutschland, im Einklang mit geltendem Recht erfolgen würden. 

Das ist nicht nur realitätsfern, sondern stärkt zudem eine Haltung nach dem Vorbild der berühmten drei Affen: nichts sehen, nichts hören, nichts sagen. 

„Weitergehende Schritte […] muss die Bundesregierung wegen der massiven nachteilhaften Auswirkungen für die außen-, bündnis- und verteidigungspolitischen Belange der Bundesrepublik Deutschland nicht in Betracht ziehen.“

Eine solche außenpolitische Vormachtstellung erscheint aus Gründen der Gewaltenballance bedenklich. Berechtigterweise wird im außenpolitischen Kontext zwar oftmals vor der politischen Einmischung der Gerichte gewarnt. Dabei ist aber gerade die Entscheidung des BVerwG politisch: das Gericht vermeidet, in die Verlegenheit zu kommen, geltendes Völkerrecht und deutsche Grundrechte entgegen der außenpolitischen Interessen der Bundesregierung durchsetzen zu müssen. 

Auswirkungen für die zukünftige Sicherheitspolitik

Der Angriff auf den iranischen General Qassem Soleimani zeigt, dass eine bleibende Passivität seitens der Bundesregierung gegenüber amerikanischen Kampfdrohneneinsätzen auch sicherheitspolitische Gefahren birgt.
Die größte Militärmacht der Welt könnte durch einen derartigen Angriff eben mal einen bewaffneten Konflikt mit einer weiteren regionalen Großmacht vom Zaun brechen, bei dem Deutschland territoriale Unterstützung leistet. Dabei stellt sich völkerrechtlich die Frage, ob der amerikanische Drohnenpilot in Deutschland als Konfliktpartei legitimes Gegenangriffsziel sein kann? Mit fortgeschrittenen Waffentechnologien bekommen Konflikte neue Dimensionen, deren rechtliche Einordnung noch nicht eindeutig geklärt sind. Zwar ist die Debatte um Kampfdrohneneinsätze nicht neu, jedoch kommt sie jetzt erst in der Öffentlichkeit an, weil immer mehr Staaten (darunter auch Deutschland) Interesse an deren Anschaffung signalisieren. Der zunehmenden Einsatz von Drohnen bedeutet konkret, dass es immer schwieriger wird, „Konflikt“ von Nicht-Konflikt zu trennen. Denn so kann ein Konflikt zwischen den USA und dem Iran auf einmal auch uns betreffen, weil Irans wichtigster General von deutschem Boden aus getötet wurde. 

Über die Autorin:

Bild: Uni Leipzig

Lisa Wiese
ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin
und Doktorandin am Lehrstuhl für
Europarecht,
Völkerrecht
und Öffentliches Recht
an der Universität Leipzig

Der größte Massensuizid Deutschlands

Eltern injizierten ihren Kindern Giftspritzen, ließen sie tödliches Gas einatmen oder auf Giftkapseln beißen. Manche erschossen oder erhängten ihre Kinder und dann sich selbst. Viele Frauen banden sich ihre Kinder an ihre Körper und stiegen, beschwert von Steinen, in die Flüsse Peene, Tollense oder den Schwanensee.  

Der größte Massensuizid Deutschlands geschah in Demmin, einer circa 82 km² großen Kleinstadt in Mecklenburg-Vorpommern. 

Vom 30. April 1945, dem Tag Hitlers Suizids bis zum 3.Mai 1945 starben mehr als 1000 Menschen in Demmin. Neuere Schätzungen gehen bei der Anzahl sogar von bis zu 2500 Toten aus: Kinder, Frauen und Männer. Damals lag die Einwohnerzahl bei circa 15.000, während heute noch um die 10.600 Menschen in Demmin wohnen. Das Makabere daran ist, dass unter ihnen auch hunderte sind, die nicht als “Freitote” bezeichnet werden können, da sie nicht durch eigene Hand starben, sondern von ihren Eltern und Angehörigen bewusst getötet wurden. 

Das Warum?

Die Angst vor den nahenden russischen Truppen aus dem Osten war im Mai 1945 groß. Die Demminer hörten viele Gerüchte: Die russische Armee würde die deutsche Bevölkerung foltern und viele Frauen und Mädchen vergewaltigen. Hinzu kam, dass das Weltbild der Demminer, wie auch das vieler anderer Deutscher, in Trümmern lag. Nach dem Ende des deutschen Reiches, dem Verlieren des 2. Weltkriegs und dem Tod Adolf Hitlers sahen einige keinen Grund mehr mit ihrer Familie in einem Land weiterzuleben, das zukünftig von Franzosen, Amerikanern und Russen regiert werden würde.

Waren die Menschen einfach nicht stark genug ein Licht am Ende des Tunnels zu sehen? Waren es die Aussichtslosigkeit und ihr zerstörtes Weltbild, die sie zu Mördern ihrer eigenen Kinder machten? War es die Massenpanik, oder war es einfach etwas, dass wir in der heutigen Zeit schlichtweg nicht erklären können? 

Letztlich waren sie davon überzeugt, dass sie ihren Kindern so Scham und Qualen ersparen würden. 

Was in dieser Tragödie jedoch nicht vergessen werden sollte, ist, dass es die deutschen Soldaten waren, welche die Demminer Frauen, Männer und Kinder in diese ausweglose Situation gebracht hatten. Hitlers Armee hatte das Fliehen unmöglich gemacht, indem sie bei ihrem Rückzug alle Brücken, die nach Demmin führten, gesprengt hatten. Die Demminer waren eingekesselt, eine Flucht unmöglich.

Resultat dieser Sprengung war aber auch, dass die russische Armee im Fortschreiten eingeschränkt und gleichzeitig gezwungen wurde in Demmin zu verweilen. Sie legten die Stadt in Flammen, folterten und erschossen Menschen und vergewaltigten viele Frauen.
Die Ängste der Demminer wurden also bestätigt. Ihre Panik war damit nicht unbegründet, denn die russische Armee hinterließ Ende Mai 1945 nur noch ein Haufen Schutt und Asche in Demmin. 

War es also besser dem zu entgehen, in dem man sich selbst und seiner Familie das Leben nahm?

Demmin sollte nach diesen Tagen im Mai 1945 nie wieder so rekonstruiert werden und nie wieder so sein, wie es vorher einmal war. Von nun an sollten diejenigen Entscheidungen treffen, die gerade eben noch die Stadt niedergebrannt hatten. Die russischen Allierten sollten über die Zukunft derer walten, die sie gerade eben noch gefoltert und vergewaltigt hatten.

Kein leichtes Los für diese Stadt und auch keines, das eine Verarbeitung dieses Themas erleichtern sollte.

Die DDR Gegenwart

Was Demmin so speziell macht, ist, dass die Verarbeitung dieses Traumas und die öffentliche Auseinandersetzung mehr als 70 Jahre gedauert hat und eigentlich erst 2015 begann. Als eine Stadt in der DDR war der Einfluss der Sowjetunion ab 1945 bis zur Wende 1989 weitreichend. Gleichzeitig ließ die sowjetische “Geschichtsinterpretation”, die für die heroische Befreiung Deutschlands von den Fängen des Faschismus durch die russische Armee stand, keine Auseinandersetzung zu. 

Die Russen hatten gewonnen und es schien, als hätten ihre Kriegsverbrechen nie stattgefunden. Die mehr als tausend Demminer Toten waren in der DDR-Gesellschaft daher „nicht existent“. Niemand sprach über sie und Grabsteine gab es nicht. Die einzigen Orte, an denen diese Menschen existierten, waren in den Herzen und den Erinnerungen der Menschen und Familien, die sie überlebten. Nur diese wussten von dem Massengrab auf dem Demminer Friedhof. Nur diese haben die Leichen auf den Bänken liegen, an den Bäumen hängen und in den Flüssen schwimmen gesehen. Diese Überlebenden haben sie von Bäumen geschnitten, aus den Seen gefischt und sie auf Wagen zu ihrer letzten Ruhestätte verfrachtet. Ihr Leben ging 1945 weiter in einem Demmin, das zum Vergessen und Stillsteigen verdammt war.

70 Jahre später

Nach dem Fall der Mauer zeigte sich etwas mehr Interesse. JournalistInnen tasteten das Thema zögerlich an, es fand kein weitreichendes Interesse. Erst 2015 und 2016 begann die echte Auseinandersetzung. Plötzlich gab es Artikel in allen großen Illustrierten, in Zeitungen und auf vielen Fernsehsendern. Gleichzeitig begann der Dreh für den Dokumentarfilm von Martin Farkas „Über Leben in Demmin“ welcher 2018 in die Kinos kam, und große Erfolge feierte. Dabei wird nicht nur die Vergangenheit wiedergegeben, sondern auch die makabere Entwicklung in Demmin angesprochen, die alljährlich mit einem Trauermarsch einhergeht.

Neonazis: trampeln mit den Stiefeln auf dem Andenken derer, die sie vorgeben zu gedenken

Diese Erinnerungskultur und Verarbeitung hat auch eine andere Klientel auf die Bühne gerufen – Neonazis. 

Neonazis instrumentalisieren die Tragödie des Demminer Massensuizids jedes Jahr am 8.Mai für ihre eigenen perfiden Zwecke. Der „Trauermarsch“ umfasst dabei einen Fackelzug mehrerer hunderter Neonazis durch die Demminer Innenstadt und endet mit patriotischen Reden am Peeneufer, dem Ort an dem vor mehr als 60 Jahren die Leichen vieler Demminer aus dem Wasser gefischt wurden. Die wenigsten der Trauermarschteilnehmer und Redner sind Demminer.

Sie trampeln mit ihren Stiefeln auf dem Andenken derer, die sie vorgeben zu gedenken.  
Jedes Jahr werden die Demminer somit auf perfide Art an ihre Geschichte erinnert.
Aber – und umso wichtiger zeigt der 8. Mai in Demmin auch, wie viele sich gegen diese Art der Erinnerung stellen. Demmin kann und will mehr sein. 

In den letzten Jahren sind die Gegendemonstrationen des neutralen und linken Flügels auf beachtliche Größe angewachsen. Friedensfeste wurden gefeiert und insbesondere die vielen Freiwilligen hinter dem Aktionsbündnis 8.Mai / Demmin Nazifrei zusammen mit dem Einfluss der Band Feine Sahne Fischfilet in einen bunten Tag verwandelt.

Ein Ausblick

Die Auseinandersetzung mit der Demminer Geschichte ist daher mit vielen verschiedenen Aspekten behaftet. Sie soll einerseits den Toten und Überlebenden angemessen gedenken. Andererseits soll sie aber auch deren Beweggründe ehrlich und offen darstellen. Sie soll den rechten Gedanken keinen Spielraum zu geben, aber dennoch eingestehen, dass die russische Armee Kriegsverbrechen begangen hat. 

Dabei geht es nicht darum die Stadt in ein negatives Licht zu rücken, sondern eher darum, Menschen zu finden, die diesen Ort für etwas nutzen, dass weit über die Grenzen des Landkreis Vorpommern Greifswalds hinaus reicht.- Zur Aufklärung und zum Gedenken an die Opfer der Massensuizide in Deutschland. 

Über die Autorin

Katharina von Oltersdorff-Kalettka, geboren in Demmin, lebt inzwischen in Norwegen. Nur durch Zufall erfuhr sie von der dunklen Geschichte ihrer Geburtsstadt: als sie auf norwegisch ein Buch las, das sich mit dem düsteren Kapitel Demmins auseinandersetzte.

Katharinas Website und ihr Instagram-Handle

Literaturempfehlungen zum Thema:

“Kind, versprich mir, dass du dich erschießt” von Florian Huber, „Vertreibung aus dem Paradies“ von Karl Schlösser
„Die Gespenster von Demmin“ von Verena Kessler

„Für das Umfeld gilt gerade jetzt in der Pandemie: bitte noch genauer hinsehen.“

Über 115.000 Frauen wurden 2019 in Deutschland Opfer von Gewalt. Wie kann das sein? Was läuft da schief?

Häusliche Gewalt hat in der Regel immer etwas mit Macht zu tun. Eifersucht, Kontrolle und Besitzansprüche spielen häufig eine zentrale Rolle. Zu Gewalt kommt es dann, wenn der oder die Täter*in sich in ihrer Machtposition bedroht fühlt. Nach wie vor leben wir in einer Gesellschaft, die sich zwar für tolerant und offen hält, von einer wirklichen Gleichberechtigung sind wir jedoch noch meilenweit entfernt. Solange das so ist, wird es immer Täter*innen geben, die sich Frauen gegenüber als überlegen fühlen und daraus einen Machtanspruch ableiten, den sie notfalls mit Gewalt durchsetzen. 

Ihr als Beratungsstelle habt täglich mit solchen Fällen zu tun: was und wie viel muss noch getan werden? Habt ihr konkrete Verbesserungsvorschläge?

Konkrete Verbesserungsvorschläge gibt es tatsächlich einige. Es müssten viel mehr Frauenberatungsstellen und Frauenhäuser geben, so dass eine flächendeckendere Versorgung gewährleistet ist. 

Bei häuslicher Gewalt sind neben den Beratungsstellen viele verschiedenen Akteure wie Polizist*innen, Staatsanwält*innen, Ärzt*innen und noch einige Professionen mehr involviert. Es braucht Schulungen und Fortbildungen, um einen sensibleren Umgang mit von Gewalt betroffenen Menschen zum Standard und nicht zu einer Ausnahme zu machen. 

Das Thema Prävention ist ganz wichtig und vor allem eine, die schon im jüngeren Alter ansetzt und verschiedene Aspekte wie beispielsweise auch Teenage Dating Violence beleuchtet. 
Der Bereich der Täter*innenarbeit muss ausgebaut werden. Das Frauenunterstützungssystem unterstützt die Frauen, das Männerunterstützungssystem die Männer.
Aber es müssen auch Angebote für Täter*innen etabliert werden, die zum Ziel haben, die Gewalt dort zu stoppen, wo sie beginnt. Bei den Täter*innen selbst. 
Aber um einen optimistischen Ausblick zu haben, es tut sich was. Das Thema rückt immer mehr in Fokus. 

Was genau macht ihr in Eurer Beratungsstelle? Wie sieht die Hilfe für die Frauen konkret aus?

Wir beraten Frauen und Mädchen, die häusliche und sexualisierte Gewalt erfahren haben. Die Unterstützung ist dabei immer ganz individuell und auf die jeweilige Frau angepasst. Wir informieren Frauen beispielsweise über die Möglichkeiten des Gewaltschutzgesetzes. Dabei haben die Frauen die Möglichkeit auf zivilrechtlichem Wege Schutzmaßnahmen wie beispielsweise ein Kontakt- oder Näherungsverbot gegen den oder die Täter*in geltend zu machen. Wir vermitteln Kontakte zu Anwält*innen oder Therapeut*innen. Ein wichtiger Bestandteil ist das Abwägen von Risiken und das Erarbeiten von Sicherheitsplänen im Falle einer Trennung. In erster Linie hören wir aber auch einfach nur zu. Das Thema häusliche Gewalt ist häufig mit Scham besetzt. Die Frauen sind von den Täter*innen oft über lange Zeit sozial isoliert worden und hatten keine Möglichkeit, sich jemanden anzuvertrauen. Unsere Aufgabe ist es, einen geschützten Raum zu schaffen, in dem die Frauen offen darüber sprechen könne, was sie erlebt haben. 

Wenn eine Frau jetzt Kontakt zu Euch aufnehmen will – was ist der einfachste Weg – und wie geht es nach der ersten Kontaktaufnahme weiter?

Die Frauen nehmen in der Regel im ersten Schritt per Telefon mit uns Kontakt auf. Diese Telefonate können ganz unterschiedlich sein. Manche Frauen wissen genau, wie eine mögliche Unterstützung durch uns aussehen könnte und manche Frauen möchten im Vorfeld lieber anonym bleiben und nicht so viel von sich preisgeben. Was ja verständlich ist. Der Schritt, sich an uns zu wenden ist selten einfach. 

Die Frauen können selbst entscheiden, ob Sie einen telefonische oder persönliche Beratung möchten. Hinter der jeweiligen Entscheidung liegen individuelle Gründe. Einige Frauen nutzen beispielsweise die Zeit, in der der Mann arbeitet, um zu uns in die Beratungsstelle zu kommen. Wiederum andere telefonieren mit uns auf dem Weg zum Einkaufen. 

Im ersten Gespräch erarbeiten wir gemeinsam mit der Frau wie wir ihr helfen können. Wir unterstützen und begleiten die Frauen dabei so lange, wie sie es wünschen. Manche konkrete Anliegen können schon in einem Termin geklärt werden und in anderen Fällen begleiten wird die Frauen über einen längeren Zeitraum. 

Was ganz wichtig ist, jede Frau, die zu uns kommt, ist einem ganz individuellen Risiko ausgesetzt. Das klären wir auf jeden Fall im ersten Gespräch. Die oberste Priorität hat die Sicherheit der Frau, dafür erarbeiten wir einen individuellen Sicherheitsplan. Wenn das Risiko zu hoch ist, kann es sein, dass eine Unterbringung in einem Frauenhaus der nächste Schritt ist. 

Hat die Frau eine konkrete Trennungsabsicht, sprechen wir deren Umsetzung detailliert durch. Hier ist es ganz wichtig zu wissen: Eine Trennung ist der gefährlichste Zeitpunkt. Wie ich am Anfang gesagt habe, in der Regel geht es immer um Macht. Eine Trennungserklärung nehmen viele Täter*innen nicht hin und die Gewalt eskaliert. 

Deshalb ist ein Drängen von Freund*innen oder dem Umfeld auch nicht ratsam. Eine solche Trennung muss gut vorbereitet sein. 

Wir arbeiten dabei ressourcenorientiert. Jede Frau bringt ganz eigene Stärken und Ressourcen mit. Unsere Aufgabe dabei ist es, diese wieder hervorzuholen und zu stärken und der Frau zu vermitteln „you can do it!“. 

An den Berichten von den betroffenen Frauen hat mich mit am meisten schockiert, dass nach der Tat/den Taten häufig Angehörige aber auch ÄrztInnen und PsychologInnen das, was den Frauen angetan wurde, heruntergespielten – oder den Frauen in irgendeiner Weise ein schlechtes Gewissen gemacht wurde. Ich las Sätze wie: „Na irgendwas musst Du ja gemacht haben“ (Satz einer Mutter zu ihrer Tochter) oder „Sind Sie sicher, dass Sie den Mann anzeigen wollen und somit sein Leben zerstören?“ (ein Arzt). Wieso ist das so? Kannst Du Dir das erklären?

In unserer Gesellschaft gilt immer noch das Bild der liebenswerten Frau bzw. treusorgenden Ehefrau und Mutter, die schön brav alles klaglos hinnimmt. Dazu kommt noch, dass sich in unserem patriarchalischen System Männer viel mehr erlauben und Grenzen überschreiten dürfen.

Oftmals spiegeln solche Aussagen aber auch die Hilflosigkeit der Personen aus dem Umfeld wider. Wenn jemand auf eine solche Art und Weise das Geschehene herunterspielt, dann muss derjenige sich in der Regel auch nicht weiter damit auseinandersetzen. 

Dazu kommt auch, dass der Mensch gerne das Gefühl von Kontrolle hat. Das begegnet mir auch häufig im Bereich der sexualisierten Gewalt. Da fallen oft Sätze wie „hätte sie mal nicht so viel getrunken“ oder „hätte sie nicht diesen Rock angezogen“. Das fällt alles unter victimblaming. Wenn also jemand sagt „du musst ja etwas gemacht haben“ schiebe ich jede Schuld der betroffenen Frau zu. Im Umkehrschluss fühlt sich der oder diejenige, die solche Aussagen trifft, dann ziemlich sicher. Ihr selbst kann sowas ja unmöglich passieren. Aber jeden von uns kann häusliche Gewalt treffen. Die Verantwortung liegt nie bei der betroffenen Person selbst, sondern immer bei den Täter*innen. Die Aussage des Arztes ist dabei auch symptomatisch. In den Köpfen muss endlich ankommen, dass nicht die Frau das Leben des Mannes durch eine Anzeige zerstört, sondern er das bereits durch seine Gewalttätigkeit selbst getan hat. 

Ganz oft bekommen die Frauen auch zu hören: „also ich hätte mich ja schon längst getrennt“. In einer Beziehung herrschen ganz eigene Dynamiken. Viele Frauen haben den engen Kontakt zu einem Supportsystem durch gezielte Isolation verloren. Oft sind Kinder involviert und es bestehen finanzielle und strukturelle Abhängigkeiten. Diese Sensibilität ist nur durch Aufklärung zu erreichen. 

Wir leben mitten in einer Pandemie. Das bedeutet: wenig soziale Kontakte und viel zu Hause sein. Für manche Frauen bedeutet es: die Hölle auf Erden. Schließlich leben einige von ihnen  mit dem Täter unter einem Dach. Spürt ihr das bei Eurer Arbeit? Nehmen die Anrufe zu – oder ist das Gegenteil der Fall?

Während des ersten Lockdowns war es zu Beginn fast schon gespenstisch ruhig. Was wir eben auch darauf zurückführen, dass die Frauen schlichtweg keine Möglichkeiten hatten, Kontakt aufzunehmen. Danach hatten wir das Gefühl, die Problemstellungen mit denen die Frauen zu uns kommen, werden komplexer. Neben der Gewalt kamen viele weitere Schwierigkeiten dazu. Finanzielle Probleme, Überforderung durch Homeschooling und Homeoffice beispielsweise.  

Bei uns kamen die Anrufe immer wellenartig. Ruhigere Zeiten haben sich mit stärker frequentierten abgewechselt. 

Unsere Beratungsstelle ist in einer ländlicheren Region, ich kann mir vorstellen, dass Frauennotrufe in Ballungszentren, da andere Erfahrungen machen. 

Wir arbeiten ja auch mit Frauen, die sexualisierte Gewalt in der Kindheit erfahren haben. Viele sind an Therapeut*innen angebunden oder haben sich über Jahre eine tragfähige soziale Struktur aufgebaut. Das ist plötzlich alles von einem auf den anderen Tag weggefallen und hat viele Frauen stark aus der Bahn geworfen.

Wie kann man in der aktuellen Situation diesen Frauen helfen? Gibt es da Eurer Meinung nach Wege und Möglichkeiten?

Für das Umfeld gilt gerade jetzt in der Pandemie, bitte noch genauer hinsehen. Konkret nachzufragen wie es den Nachbarinnen oder Freundinnen geht. Es gibt verschiedenen Aktionen auch auf Bundesebene z.B durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BFSFJ) oder das bundesweite Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen, bei denen man sich Materialien wie Flyer oder Poster mit wichtigen Telefonnummern oder Angeboten im Internet herunterladen kann. Diese kann man vielleicht in dem Mietshaus, in dem man wohnt, ans schwarze Brett pinnen. Wenn nur eine Frau das sieht, die es in dem Moment gebrauchen kann, ist schon viel gewonnen. 

Ich bin immer dafür, die Frau bei einem Verdacht in einem ruhigen Moment anzusprechen. Die meisten Frauen werden erstmal abwinken. Hier bitte nicht drängen und einfach signalisieren, wenn du Hilfe brauchst, ich bin da. Vielleicht nimmt die Frau dieses Angebot nie an. Aber es macht einen großen Unterschied, wenn sie weiß, da ist jemand, der sieht mich und an den kann ich mich wenden. 

Wenn man merkt, dass beispielsweise eine Freundin von häuslicher Gewalt betroffen sein könnte, dann herrscht logischerweise erstmal eine große Unsicherheit. In der Regel stehen Frauenberatungsstellen auch Vertrauenspersonen offen und geben wertvolle Tipps wie man als Unterstützungsperson helfen kann. 

Ganz wichtig ist: Nichts über den Kopf der betroffenen Frau hinweg entscheiden. Sie erlebt durch die Gewalt in ihrem häuslichen Umfeld schon so viele Grenzverletzungen, dass es ganz wichtig ist, eine vertrauenswürdige und transparente Ansprechperson zu sein. 

Wegschauen darf auf jeden Fall bitte keine Option sein!

Was können wir als Individuen aktiv dazu beitragen, dass weniger Frauen zum Opfer von Gewalt werden?

Das Thema immer wieder in die Öffentlichkeit tragen. Häusliche Gewalt ist keine Privatsache. Es muss darüber gesprochen werden. Immer und immer wieder. Das Thema darf kein Tabu sein. Jede*r muss sich überlegen, welchen Beitrag er leisten kann, dass eine echte Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen herbeigeführt werden kann. Das kann auf ganz unterschiedlichen Ebenen geschehen. Zunächst kann sich jede*r einmal selbst ganz ehrlich fragen, was habe ich eigentlich beispielsweise für eine Einstellung zu den vorherrschenden Rollenbildern und wie vermittele ich diese meinen Kindern. 

Auf ganz pragmatischer Ebene: 

Bei vielen Frauenberatungsstellen und Frauenhäuser sind die Träger kleinere autonome Vereinen, die man ehrenamtlich oder über Mitgliedschaften und Spenden  unterstützen kann. 

Wenn eine Frau mitliest, die Hilfe benötigt: Was möchtest Du ihr sagen?

Du trägst keine Schuld an dem, was Dir passiert oder passiert ist! In Deiner Region gibt es mit Sicherheit eine Frauenberatungsstelle, die Dich unterstützen kann. Du musst den Weg nicht alleine gehen. 

Gibt es sonst noch etwas was wichtig wäre zu erwähnen?

Häusliche Gewalt hat viele Gesichter. Sie zeigt sich nicht immer in Form von mehr oder weniger sichtbarer körperlicher Gewalt. Psychische Gewalt in Form von Beleidigungen und Abwertungen gehört genauso dazu wie beispielsweise sexualisierte oder finanzielle und soziale Gewalt. Egal welche Form, sie hat schwerwiegende Auswirkungen auf die Betroffenen. 

Psychologin Tanja Glöckner-Pusic (Foto: privat)

Wichtige Adressen:

Bundesweite Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen, das unter 08000 116 016 24h erreichbar ist und auch anonym berät. Online-Beratung auf deren InternetseitE www.hilfetelefon.de (hier finden Frauen auch Kontaktdaten zu regionalen Beratungsstellen)
Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff) bietet unter www.frauen-gegen-gewalt.de auch eine Bandbreite an Infos, u.a auch zu digitaler Gewalt oder bspw. Gewalt an Frauen mit Behinderungen (hier ist das Risiko, Gewalt zu erfahren, stark erhöht). Auch hier gibt es eine Datenbank mit regionalen Anlaufstellen. 
Unter www.wege-aus-der-gewalt.de gibt es viele Informationen für Frauen mit Behinderung. 

„Ich weiß bis heute nicht, was ein härterer Schlag für mich war: die Schläge von meinem Ex oder die Worte meiner Mutter“

„Ich hatte vor wenigen Jahren einen Partner, mit dem ich gerade im Inbegriff war zusammenzuziehen. Seit wir den Mietvertrag unterzeichnet hatten, hatte ich zunehmend ein mulmiges Gefühl, dass er mir fremdgehen würde. Und dann gab es mehrere eindeutige Anzeichen, sodass ich die Beziehung beendet habe und mich aus dem Mietvertrag rausnehmen lassen habe. 

Ein halbes Jahr lang ist er mir hinterhergerannt. Hat mir gesagt wie sehr er mich liebt und nur mich will. Für mich war das Thema abgehakt. Eines nachts bekam ich einen Anruf: er hatte einen traumatischen Autounfall und dürfte nach Hause, wenn er über das Wochenende Tag und Nacht unter Betreuung ist. Da er nur wenige Kontakte in der Stadt hat habe ich mich trotz allem was geschehen war dazu bereit erklärt. Doofe Idee… 

Als ich nachts schlief hat er mein Handy genommen und mit meinem Finger das Handy entsperrt. Alle Bilder und SocialMedia Profile, WhatsApp und Mails durchforstet. Die ganze Nacht durch. 

Da wir ja seit einem halben Jahr auseinander waren, habe ich auch schon angefangen mit anderen Männern zu schreiben um mich etwas abzulenken. All das las er.  

Und dann geschah etwas – und ich weiß bis heute nicht, was ein härterer Schlag für mich war: die Schläge von meinem Ex oder die Worte meiner Mutter: er habe mit Sicherheit begründet gehandelt. 

Als ich aufwachte, begann der Psychoterror:

Er will mich rausschmeißen, ich will gehen, er sperrt mich ein- das lief eine ganze Weile so hin und her… dann schien es mir, als wolle er Herr der Situation sein und Macht demonstrieren: er drückte meine Arme so fest, dass sie grün und blau waren,warf mich auf den Boden, würgte mich, kratzte und schlug mich. Er wollte vor allem eins: mich brechen. 

Aber ich stand immer wieder auf und schrie so laut ich konnte. Irgendwann schaffte ich es mich zu befreien und wollte ohne meine Sachen aus der Tür flüchten – da schmiss er meine Schuhe gegen meinen Kopf und beschimpfte mich lautstark – während die Nachbarn uns beobachteten – und nichts taten.

Ich war völlig überfordert, wusste nicht wohin, weil ich mich tatsächlich geschämt habe und dachte ich habe etwas falsch gemacht. Habe mich dann aber nach einem kurzen Moment doch einer Freundin anvertraut, die zu mir kam und mich ermutigte, mit meiner Familie darüber zu sprechen. 

Und dann geschah etwas – und ich weiß bis heute nicht, was ein härterer Schlag für mich war: die Schläge von meinem Ex oder die Worte meiner Mutter: er habe mit Sicherheit begründet gehandelt. 

Meine Freunde hingegen haben mich gestärkt und konnten nicht verstehen, dass ich ihn nicht anzeigen wollte.  Hierzu muss ich sagen, dass ich mit dem Gedanken gespielt habe. 

Ich war auch beim Hausarzt um die Wunden dokumentieren zu lassen.
Der meinte jedoch, dass ich mir das gut überlegen sollte,schließlich würde ich mit so einer Anzeige das Leben eines Menschen zerstören. Ich solle abwägen, ob es eine einmalige Sache oder ein wiederholtes Vergehen wäre.

Ich muss sagen, das schlimmste ist wirklich, dass man immer wieder auf so Menschen stößt. „Die Frau ist dumm, weil sie sowas über sich ergehen lässt.“ „Die hat das bestimmt auch verdient.“ „Mit mir könnte sowas keiner machen“…. und jaaaa, mit mir auch nicht! Aber danke, dass ich mich schlecht fühlen muss, weil ich zum Opfer geworden bin. 

Das Ende der Geschichte ist, dass ich mehr als zwei Jahre lang unter Angstzuständen litt. Ich hatte immer Angst ihn irgendwo zufällig zu sehen. Wenn ich zuhause war und draußen Geräusche gehört habe, hatte ich immer Panik bekommen er könnte vor der Türe stehen. Als ich einen neuen Partner hatte, durfte er mich in Streitmomenten nie berühren, weil ich es sofort fehlinterpretiert habe und Panik bekommen habe. 

Das alles – es war nur ein einziger Morgen, an dem ich sowas durchlebt habe – und trotzdem hatte ich so lange damit zu kämpfen. Unvorstellbar, was Frauen durchleben, die sich in solch einer Gewaltbeziehung befinden und keinen Ausweg finden.“

„Dass nicht normal ist was er tat, wurde mir zum ersten Mal bewusst, als er mich zwei Tage im Bad einschloss.“

„Als ich mit 20 meine erste Tochter bekam und erstmal alleinerziehend war, ging es mir gut. Ich lernte meinen zukünftigen Freund auf einer Party kennen. Ganz klassisch. Er hatte nur noch Augen für mich. Ich fühlte mich besonders.

Nach kurzer Zeit zog ich mit meiner Tochter bei meinen Eltern aus und in meine eigene Wohnung. Er sollte dort mit leben. Aber beim Umzug geholfen hat er nicht. Er kam spät und ging früh. 
Arbeit, Kind (was nicht seins war), Haushalt. Alles war mein Problem. Das erste Mal schlug er mich auf einer Party. Ich fragte ihn warum er so lange mit dem Mädchen redet. Ob er sie kennt. Und dann schlug er mich. Aus dem nichts. Jeder sah es. Niemand sagte was. 
Ich fuhr alleine nach Hause. Er mit ihr. 
Als er morgens nach Hause kam, war ich glücklich, dass er zu mir zurück kam. 

Diese kleinen „Ausrutscher“ passierten ab dann immer wieder. Sie störten mich kaum, denn ich war ja schuld… 
Ich muss dazu sagen, er schlug oder stritt niemals mit mir wenn meine Tochter zuhause war. Niemals. 

Dass nicht normal ist was er tat, wurde mir zum ersten Mal bewusst, als er mich zwei Tage im Bad einschloss. Nackt – und ohne irgendeine Hoffnung, dass mir jemand hilft oder helfen kann. 
Auch werde ich nie vergessen, als er mich mit dem Akkukabeleines alten Nokias schlug. Diese mit dem dicken schwarzen Ende. Dieses dicke Ende hat er benutzt. Nicht das Kabel. 

Ich war damals 21 Jahre alt. Ich komme aus einem tollen Elternhaus. Ich bin auf einem Bauernhof aufgewachsen. Ich war beliebt und wunderschön. Wie bin ich da hineingeraten und warum bin ich zu dem Zeitpunkt nicht gegangen? 

Er wollte ein Kind. Ich wollte ein Kind mit ihm. Vielleicht liebt er mich dann, dachte ich… Hört auf mich zu betrügen. Macht es nicht mehr offensichtlich. 
Dieses Gefühl ihn besitzen zu müssen nahm überhand. Es ließ mich nicht mehr klar denken. Ich wurde schwanger. Ich sagte es niemandem. Nicht mal meinen Eltern. Nur wir beide wussten es. 
Niemand gönnte uns das Glück. Zu diesen Zeitpunkt aß ich nicht mehr und was ich aß, erbrach ich. Ich nahm 25 kg ab. Und in der 21 SSW kommt es zu Komplikationen. Ich rufe meine Eltern an, da ich im Krankenhaus bleiben musste. Jemand musste sich um mein Mädchen kümmern. Er tat es nicht. Ich wartete drei Wochen auf den Tod meines Kindes und konnte danach endlich nachhause. Meine Eltern warenmachtlos. Verzweifelt. 
Sie brachen den Kontakt zu mir ab. 7 Monate – keine Mama keinen Papa. Für ihn gab ich sie auf. Ich liebte meine Eltern. 

Zuhause angekommen, erzählt er mir dass er das Kind eh nicht brauchte. Er hätte jemand geschwängert. Drei Tage später bekam sie ihr gemeinsames Kind. Ich fühlte mich nutzlos. Ich blieb bei ihm. Sechs Monate später bekam er mit einer anderen Zwillinge. Und endlich trennte mich endlich. 

Sarah hat schon einiges durchgemacht im Leben. Heute ist sie glücklich. (Foto: privat)

Ein letztes Mal habe ich ihn noch gesehen. Da brach er bei mir ein, vergewaltigt mich und verschwindet. Wieder hilft mir niemand. Denn zu oft habe ich um Hilfe gerufen und ihn danach trotzdem wieder reingelassen. 

Ich wurde wieder schwanger – und entschied mich für einen Schwangerschaftsabbruch. Ich zog aus meiner Wohnung aus und zu meinen Eltern. 

Ich kann wieder atmen. 
Heute, 10 Jahre später. 
Heute geht es mir wieder gut und lebe mit meinen Mann und unseren drei Töchtern in der Nähe von Hamburg. 

Es kann jede treffen und niemand kann dich da rausholen.“

Hi, Germany! I guess, we are back.

Dieses 2020. Es sollte groß, spannend und anders werden.
Und bisher ist es das auch: groß, spannend… anders… Doch definitiv nicht so, wie ich es mir vorgestellt habe.

2020. Wahljahr. US-Wahlzirkus. Boom. Bäääm. Nach fast einem Jahrzehnt USA sollte dies nun unser letztes Jahr in den Staaten sein… wie passend, dachte ich. Noch einmal alles mitnehmen, einen weiteren Wahlkampf mit allem was dazu gehört: einen aufregenden Vorwahlkampf, pompöse Auftritte der PräsidentschaftkandidatInnen, Parteitage mit Luftballons und Konfetti, der große Wahltag… Ein Abgang mit Pauken und Trompeten.

Doch dann, mitten im Vorwahlkampf, am 12. März trat Trump vor die Presse und verkündete den Travel Ban aus EU-Staaten und irgendwie plötzlich war dieser „Coronavirus“ auch bei uns in den USA omnipräsent. Ab dann überschlugen sich die Ereignisse: man vermutete, dass die Fallzahlen bereits deutlich höher seien, als die offiziell bestätigten 1100, denn in den USA gab es zu dem Zeitpunkt nicht ansatzweise genügend Tests. Der Vorwurf stand schnell im Raum, dass der Präsident über Wochen das Virus heruntergespielt habe (wir wissen mittlerweile, dass er dies absichtlich tat um im Wahljahr keine schlechte Stimmung und Panik zu verbreiten).

Kitas und Schulen schlossen, Kinder zu Hause, kein rein-, kein raus. stuck in the USA. 
Statt Berichte vom US-Vorwahlkampf sendeten die Nachrichten monothematische  Sondersendungen über den CORONAVIRUS. 

Der Wahlkampfzirkus tröpfelte vor sich hin: Ziemlich schnell war klar, 2020 treten zwei alte weiße Männer an. Nothing new. How boring. Zu Hause: alles andere als boring. More exhausting, to say the least. Einige Wochen hatten wir vormittags kostbare Unterstützung bei der Kinderbetreuung von einer Studentin, doch die wurde irgendwann abgeworben. Eine Familie unterbreitete ihr ein langfristigeres und besser bezahltes Angebot. Die Suche nach Ersatz gestaltete sich schwierig: gefühlt jede Familie suchte nach Betreuung für die Kinder zu Hause. Der eh schon stattliche Stundenlohn einer Nanny erreichte in DC im Juni ein neues Rekordhoch: 30 Dollar die Stunde. 

„Summer 2020 – a summer to remember“

Wir verbrachten im schwül-heißen Washington einen „Summer to remember“: die Covidkurve stieg und stieg, die Kinder mussten selbst beim spazieren gehen Maske tragen, Spielplätze blieben geschlossen – und auf den Straßen: wütende Menschen, die endlich Gleichberechtigung von Schwarzen forderten. 
Das eh schon zerrissene Land: die Gräben schienen Tag um Tag tiefer. Nicht zuletzt wegen eines Präsidenten, der durch Twitter-Tiraden und bemerkenswerte Aussagen sein Volk aufstachelte, anstatt es zu einen.

Beruflich hätte es nicht besser laufen können. Das Einreiseverbot aus der EU im Wahljahr bedeutete für mich als deutsche Journalistin in den USA: unverhoffte Angebote… die Journalistin Elisabeth freute sich, während die Mutter Elisabeth sich fragte, wie sie das alles unter einen Hut bringen sollte…
Der Vorteil für mich: aufgrund der Situation wurden eigentlich alle wichtigen Großevents in einem Wahlkampfjahr abgesagt und fanden online statt. Zwar traurig und ärgerlich, doch für mich auch besser zu organisieren.

Im August war klar: mit dem Herbst in Aussicht hätten wir weiterhin keine verlässliche Kinderbetreuung. Zwar wollte der privat geführte Kindergarten der Mädchen (vorübergehend) wieder öffnen, doch was bedeutet das schon, zu Covid-Zeiten. Wir entschieden uns gegen den Kindergarten, vor allem deshalb, weil die monatlichen stattlichen Beitragsgebühren von 1500 Dollar auch fällig gewesen wären, wenn die Kita pandemiebedingt noch mal schließen müsste.

 Mittlerweile hatten so gut wie alle europäischen Freunde dem coronageplagten Land den Rücken gekehrt. Unsere Kinder, die Abschiede in DC gewöhnt waren, fühlten sich erstmals zurückgelassen, waren verunsichert, wer nun als nächstes gehen würde. 
In unserer einst belebten und beliebten Nachbarschaft schloss Woche um Woche ein Geschäft und Restaurant nach dem anderen. In deren Eingängen schliefen nun Obdachlose, durch die Straßen liefen nur noch Ortsansäßige: mit Maske und gebührend Abstand.  

Die Schilderungen aus der Heimat hörten sich im Vergleich dazu an, wie das Paradies auf Erden: Was für ein normales Leben dort – in Mitten einer Pandemie – geführt werden darf. 

Während das Mutterherz hüpfte, blutete das Journalistinnenherz

Immer wieder stand die Frage im Raum: ob ich mit den Kindern vorzeitig nach Deutschland zurückkehre. Immer wieder sagten wir uns, wir würden noch mal zwei Wochen abwarten…
Ende August sahen wir uns wieder einmal tief in die Augen. Eine Freundin musste aus privaten Gründen kurzfristig nach Deutschland – somit hätte ich ein extra Paar helfende Hände für einen transatlantischen Flug mit drei Kindern unter sechs Jahren.
Stundenweise unterstützte mich zu der Zeit eine Lehrerin der Kinder, die aufgrund von Corona ihren Job verloren hatte… doch sie sagte mir ehrlich: sobald sie einen langfristigen Vollzeitjob angeboten bekäme, würde sie den annehmen. 

„Ich fliege mit“, sagte ich zu meinem Mann – dem ein stressiger, arbeitsreicher Herbst bevorstand: ohne feste Arbeitszeiten, ohne Wochenenden. 
Ich buchte den Flug. Sechs Wochen vor der Wahl. Autsch. 
Während mein Mutterherz hüpfte, blutete mein Journalistinnenherz. 

Doch, unsere Kinder mussten mittlerweile so viele Abstriche machen, dass sie nun endlich wieder positive, schöne Erlebnisse in ihrem Alltag brauchten. Vier Wochen Urlaub bei Oma. Sagten wir. Doch gleichzeitig fragte ich mich, ob wir wirklich noch mal nach DC kämen. Wofür noch mal die Kinder in den Flieger zwängen? Was sollte da auf uns warten? Eine Entspannung der Lage? Ein leichterer Alltag?

Der einzige Trost war tatsächlich, dass ich als Journalistin vom Wahlkampf nicht groß etwas verpassen würde: kein BIG ELECTION DAY, keine Wahlparties. Kein Glanz, kein Gloria.

Und so stieg ich Mitte September mit drei Koffern, drei Kindern und ohne Mann in den Flieger. Passt. Dachte ich. Sollte dies das Ende meiner Amerikajahre sein, passt das ins 2020. 

Nun sind wir in Deutschland. Und werden dieses Jahr nicht mehr zurück nach DC fliegen. Mein Mann kommt kurz vor Weihnachten zu uns. Ja, Deutschland fühlte sich als wir landeten frei an. Die Kinder konnten die ersten Tage ihr Glück kaum fassen: „Mama, ich mag Deutschland“. „Deutschland ist wie ein Märchen“. In ihrer kleinen Welt ist Covid-19 nur noch klitzeklein präsent. Kaum spürbar. „This is because of coronavirus“, hatten sie sich in Amerika irgendwann selbst gegenseitig erklärt, wenn sie nicht auf den Spielplatz gehen konnten, keine Play Dates machen konnten, nicht in den Kindergarten gehen durften. Diesen Satz habe ich seit Wochen nicht mehr gehört.

Zu wissen, dass die Verantwortung auf mehreren Schultern verlässlich verteilt werden kann, ist ein völlig neues Gefühl.

Nach 8 Jahren Leben im Ausland sind wir nun wieder in Deutschland

Hier, im freien Deutschland, ist nicht gleich alles leichter und wie wir alle gerade zu spüren bekommen: wir müssen auch in Europa noch eine ganze Weile mit dem Virus leben. Doch ich habe hier wenigstens das Gefühl in einem Land zu leben, dessen Regierung die Lage wirklich ernst nimmt.

Für unsere Familie, gerade für die Kinder war dies wohl richtige Schritt. Ob es der einfachere Weg ist? Wohle eher nein. Vielleicht gehe ich da irgendwann noch mal näher drauf ein. Aber nur so viel: es sieht so aus, als würden die Kinder erst im März 2021 einen Kindergarten von innen sehen. Dann waren sie genau ein Jahr zu Hause, hauptsächlich bei mir – und seit Neustem auch bei Oma… denn ja, das ist ein völlig neues Gefühl für mich: nicht mehr tausende Kilometer von den Lieben entfernt zu sein, sondern das Sicherheitsnetz „Familie“ unter sich zu haben. Man atmet schon etwas aus – zu wissen, dass momentan die Verantwortung auf mehreren Schultern verlässlich verteilt werden kann. Kids… It takes a village…

2020. Ich habe so viel von Dir erwartet – und in jeglicher Hinsicht hast Du Dich selbst übertroffen: du bist groß, spannend und ja, auch anders. In gewisser Weise eine Akkumulation von dem, was LEBEN ist. Chaotisch, dramatisch, anstrengend, unerwartet, unverhofft, herausfordernd. Zeigst, dass man doch stärker ist, mehr aushält, als man denkt.

Und, 2021. Ich bin mehr als bereit für Dich. Diesmal habe ich keine großen Erwartungen an das neue Jahr. Ich hoffe, dass meine Lieben und ich weiterhin gesund bleiben. Und wir einfach, einen stinknormalen Alltag leben. Vielleicht mit einem Urlaub am Meer? Aber, ganz ehrlich… selbst das muss nicht sein. 😉

„Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich keine Kinder bekommen“

“Ich habe vier Kinder. Im Alter von 5- Anfang 20. Mein Mann verließ uns, als ich mit dem Jüngsten schwanger war. Seit dem haben wir keinen Kontakt mehr zu ihm, der Kleinste kennt ihn also nicht.  

Ich wusste sehr früh im Leben, dass ich Mutter sein wollte und bekam mein erstes Kind mit Anfang 20. Wir freuten uns bei den ersten drei Schwangerschaften auf jedes Kind. Alles lief komplikationsfrei ab. Doch mittlerweile ist es anders. Vor allem, wenn ich die 3 Grossen ansehe fühle ich keine Wärme. Wenn sie mich umarmen, bleibt mein Herz kalt. Das war früher anders, als sie noch kleiner waren.  

Ich traue mich das Thema nicht bei Freunden oder Bekannten anzusprechen, habe also keine Vergleichsmöglichkeit und weiß nicht, was andere Frauen empfinden, wenn sie ihre (älteren) Kinder sehen.

Beim jüngsten Kind ist es (noch) anders: ich umarme es freiwillig und es fühlt sich gut an. Wenn ich die älteren Drei ansehe, denke ich nur daran, dass ich kein Leben habe.
Meine Familie hat sich aufgrund der Herkunft meines Ex-Mannes damals von uns abgewandt. Ich habe keinerlei familiäre Unterstützung. Nicht mal eine Woche habe ich für mich. Es engt mich ein. 

Ich habe lange in der Pflege gearbeitet und wenn es dort Konflikte gab, habe ich mir immer gesagt: „Es ist nur Arbeit.“  Ich konnte nach Hause gehen und alles hinter mir lassen. Bei den Kindern ist es schwierig, da ich kein eigenes Zimmer habe um mich zurückziehen.
Ich ertappe mich seit langem immer öfter wie ich mir wünsche ich könnte allein wohnen.

Ich hasse das Leben, das ich mit den 3 großen Kindern führe. Als sie noch klein waren, war es anders. Sie waren zwar auch manchmal frech, aber mehr aus Unwissenheit. Seit dem sie in der Pupertät sind, ist es schlimm. Alle 3 haben mich schon mit Kraftausdrücken und Beleidigungen betitelt – da fällt mir nichts mehr ein. Ich hätte mich nie getraut so mit meiner Mutter zu reden.

Sie lassen sich von mir nichts sagen, und ich mache alles für sie: schmeiße den Haushalt allein, habe von Voll-, auf Teilzeit reduziert wegen des Jüngsten. Ich bin verzweifelt wenn ich daran denke wie viele Jahre ich das noch ertragen muss… ich glaube, ich find an so zu fühlen, als mein 16-Jähriger in die Pubertät kam.

Ich glaube die Gesellschaft hat ein falsches Bild vom Muttersein.

Marina, 4-fach Mutter

Ich glaube, die Gesellschaft hat ein falsches Bild vom Muttersein. Es ist für mich der am wenigsten anerkannte „Beruf“ der Welt. Ich bin Ärztin, Krankenschwester, Psychologin, Köchin, Putzfrau und noch vieles mehr und das ohne Urlaub, freies Wochenende oder einen Feiertag.

Einer kinderlosen Frau würde ich Muttersein so erklären: Du gibst Dein Leben auf. Je mehr Kinder Frau hat desto weniger eigenes Leben! So ist es bei mir zumindest. Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich keine Kinder bekommen. Ich würde mein Leben leben und wäre nur für mich verantwortlich.

Die Kinder spüren bestimmt, dass ich solche Gedanken habe-Besonders das kleinste. Ich habe mich schon daran gewöhnt.

Ich bereue es wirklich Mutter geworden zu sein. 

Ich denke oft wie schön es wäre nur mit dem  Kleinsten zu leben. Gleichzeitig weiß ich nicht wie es mit ihm wird wenn er heranwächst. Der Älteste wird bald ausziehen, aber selbst wenn alle drei Großen irgendwann nicht mehr hier leben, kommen meine Nerven nicht wieder in Ordnung.

Ich habe nicht mal mehr die Kraft zum weinen, früher hab ich viel geweint. Ich wünschte ich könnte die Zeit zurückdrehen, dann wäre ich kinderlos geblieben. Bitte verurteilt mich nicht für meine Gedanken, ich schäme mich so.”