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Schlagwort: deutsche mitverantwortung

Darf Deutschland beim Töten helfen?

Anfang Januar 2020 wurde der iranische Top-General Qassem Soleimani auf Befehl des damaligen Präsidenten Trump im Irak durch eine Kampfdrohne der Kategorie MQ 9 getötet. Die Tötung war völkerrechtswidrig, urteilte die überwiegende Mehrheit der Völkerrechtswissenschaft.
Auch die Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen Agnes Callamard bezeichnete die gezielte Tötung auf Soleimani als ungesetzlich und als Verstoß gegen die internationalen Menschenrechte. 

Deutsche Beteiligung für US-Drohnentötungen 

Was vielen vielleicht gar nicht bewusst ist: Ohne deutsche Unterstützung wäre der Angriff nicht möglich gewesen, denn der Einsatz derartiger Kampfdrohnen in Konfliktgebieten wird über die US-Militärbasis Ramstein in Rheinland-Pfalz koordiniert – dem größten US-Militärstützpunkt außerhalb der Vereinigten Staaten. Darauf befindet sich eine Satelliten-Relaisstation, über die der Datenstrom zur Fernsteuerung von Kampfdrohnen in verschiedenen Einsatzgebieten in Echtzeit geleitet wird. Darüber hinaus werden Überwachungsbilder ausgewertet und Schlüsseldaten verarbeitet, die maßgeblich für die konkreten Angriffsausführungen sind. Ramstein gilt als der größte Knotenpunkt für Drohnensignale außerhalb der USA und ist, wie Recherchen von Süddeutsche Zeitung, NDR und WDR 2014 offenlegen, unverzichtbar für das globale Drohnenprogramm der Amerikaner

Die Wichtigkeit des Stützpunktes für die US-Luftwaffe auf deutschem Boden bestätigte der frühere US-Drohnenpilot Brandon Bryant zuletzt in seiner Vernehmung vor dem NSA-Untersuchungsausschuss. Er berichtete, dass jede einzelne Dateninformation, die zu Fluggeräten oder Mannschaften übertragen wird, über Ramstein liefe. 

Menschenrechtswidrige Hinrichtung oder erlaubte Tötung im Krieg?

Irak, Afghanistan, Pakistan, Somalia, Libyen und Jemen. Das sind derzeit die Einsatzgebiete für den amerikanischen „Kampf gegen den Terror“. Dort werden Menschen aus unbemannten Flugzeugen getötet.
Der Soldat, der den Abzug drückt, ist nicht in der Nähe des Einsatzortes, sondern sitzt tausende Kilometer entfernt irgendwo vor einem Bildschirm, in der Hand eine Kontrollkonsole, die an ein Videospiel-Joystick erinnert. Drohnentötungen sind rechtlich schwer überprüfbar, weil es sich unter gewissen Umständen um eine erlaubte Tötung im Krieg handeln kann – oder eben um eine menschenrechtswidrige Hinrichtung ohne Urteil. Trotz erheblicher rechtlicher Bedenken wird für den Einsatz von Kampfdrohnen argumentiert, dass diese präziser und effektiver seien, als bemannte Flugzeuge. In der Realität kommt es jedoch immer wieder zu Angriffen auf Zivilisten und nicht militärische Einrichtungen.
Während man bei der Air Force bei solchen Fällen von Kollateralschäden spricht, sieht die deutsche Justiz bei der Kriegsführung durch Drohneneinsätze eine erhebliche Gefahr für das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit und mahnt, dass das Völkerrecht bei derartigen Einsätzen teilweise nicht eingehalten wird. 

Deutsche Mitverantwortung

Die Mitverantwortung Deutschlands für Drohnenangriffe im Nahen Osten beschäftigt seit 2014 die deutschen Verwaltungsgerichte. Geklagt hatten drei Jemeniten mit Unterstützung des ECCHR (European Center for Constitutional and Human Rights) vor dem Verwaltungsgericht in Köln und später vor dem OVG Münster. Sie forderten von der Bundesrepublik, die Nutzung der Air Base Ramstein durch die USA als Satellitenrelaisstation (Grundlage hierfür ist der NATO-Truppenstatut aus den 1950er Jahren) im Rahmen von Drohneneinsätzen zu kontrollieren und im Fall von Rechtsverstößen zu unterbinden. 

Vier Raketen, abgefeuert von US-Drohnen, schlugen am Abend des 29. August 2012 auf einer Hochzeitsfeier in Khashamir im Osten des Jemen ein. Die Kläger überlebten den Angriff, verloren aber mehrere Familienangehörige dabei und sind bis heute schwer traumatisiert. Sie fürchten seither um ihr eignes Leben und berufen sich auf die Lebensschutzgarantie aus Art. 2 Abs 2 GG:
Die Bundesregierung sei verpflichtet das Leben von Menschen auch außerhalb der Bundesrepublik zu schützen, soweit sie darauf Einfluss hat. 

Die Klage hatte in zweiter Instanz Erfolg.
Die Richter:innen in Münster stellten sich einem heiklen Unterfangen, denn mit ihrem Urteil war politische Einmischung – auch noch in den sensiblen Bereich der Außenpolitik – vorprogrammiert.
Die Bundesregierung bekam vom OVG Münster außenpolitische Hausaufgaben: Sie wurde gerichtlich verpflichtet, künftige US-Drohneneinsätze über Ramstein durch geeignete Maßnahmen zu kontrollieren.
Dabei sei sicherzustellen, dass sich direkt bewaffnete Angriffe ausschließlich auf zulässige militärische Ziele beschränken und völkerrechtskonform sind. Damit trifft die Bundesregierung eine aktive Nachforschungspflicht gegenüber dem großen Bündnispartner jenseits des Atlantiks, um das zivile Leben im Ausland zu schützen. 

Eine derartig rechtsstaatliche Prägung deutscher Außenpolitik akzeptierte die deutsche Bundesregierung jedoch nicht und legte gegen dieses Urteil Revision vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig ein. 

Wegschauen verletzt nicht das Recht auf Leben: Drohnenurteil des Bundesverwaltungsgerichts

Die Revision hatte Erfolg. Die Leipziger Richter:innen des Bundesverwaltungsgerichts stellten  mit ihrer Entscheidung vom November 2020 sicher, dass es zu keinem diplomatischen Eklat  kommt und wahren die außenpolitisch freie Handlungsfähigkeit der deutschen Bundesregierung. 

Zwar wird die grundrechtliche Schutzpflicht Deutschlands gegenüber im Ausland lebenden Menschen anerkannt.
Die Abweisung der Klage wurde unter anderem aber damit begründet, dass sich die Bundesregierung bereits eine Zusicherung der USA eingeholt habe, dass Aktivitäten aus US-Militärliegenschaften in Deutschland, im Einklang mit geltendem Recht erfolgen würden. 

Das ist nicht nur realitätsfern, sondern stärkt zudem eine Haltung nach dem Vorbild der berühmten drei Affen: nichts sehen, nichts hören, nichts sagen. 

„Weitergehende Schritte […] muss die Bundesregierung wegen der massiven nachteilhaften Auswirkungen für die außen-, bündnis- und verteidigungspolitischen Belange der Bundesrepublik Deutschland nicht in Betracht ziehen.“

Eine solche außenpolitische Vormachtstellung erscheint aus Gründen der Gewaltenballance bedenklich. Berechtigterweise wird im außenpolitischen Kontext zwar oftmals vor der politischen Einmischung der Gerichte gewarnt. Dabei ist aber gerade die Entscheidung des BVerwG politisch: das Gericht vermeidet, in die Verlegenheit zu kommen, geltendes Völkerrecht und deutsche Grundrechte entgegen der außenpolitischen Interessen der Bundesregierung durchsetzen zu müssen. 

Auswirkungen für die zukünftige Sicherheitspolitik

Der Angriff auf den iranischen General Qassem Soleimani zeigt, dass eine bleibende Passivität seitens der Bundesregierung gegenüber amerikanischen Kampfdrohneneinsätzen auch sicherheitspolitische Gefahren birgt.
Die größte Militärmacht der Welt könnte durch einen derartigen Angriff eben mal einen bewaffneten Konflikt mit einer weiteren regionalen Großmacht vom Zaun brechen, bei dem Deutschland territoriale Unterstützung leistet. Dabei stellt sich völkerrechtlich die Frage, ob der amerikanische Drohnenpilot in Deutschland als Konfliktpartei legitimes Gegenangriffsziel sein kann? Mit fortgeschrittenen Waffentechnologien bekommen Konflikte neue Dimensionen, deren rechtliche Einordnung noch nicht eindeutig geklärt sind. Zwar ist die Debatte um Kampfdrohneneinsätze nicht neu, jedoch kommt sie jetzt erst in der Öffentlichkeit an, weil immer mehr Staaten (darunter auch Deutschland) Interesse an deren Anschaffung signalisieren. Der zunehmenden Einsatz von Drohnen bedeutet konkret, dass es immer schwieriger wird, „Konflikt“ von Nicht-Konflikt zu trennen. Denn so kann ein Konflikt zwischen den USA und dem Iran auf einmal auch uns betreffen, weil Irans wichtigster General von deutschem Boden aus getötet wurde. 

Über die Autorin:

Bild: Uni Leipzig

Lisa Wiese
ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin
und Doktorandin am Lehrstuhl für
Europarecht,
Völkerrecht
und Öffentliches Recht
an der Universität Leipzig