Als ich vergangenen Sonntagmorgen in Hamburg den ICE bestieg, um für zwei berufliche Termine nach Berlin zu reisen, freute ich mich auf zwei Stunden konzentriertes Arbeiten!
In meiner Vorstellung saß ich in einem Ruheabteil mit einem warmen Kaffee auf dem Tisch. Die Landschaft würde lautlos an mir vorbeirauschen – und auf meinem PC würden die Buchstaben tanzen.
Ich setzte mich hin, während der Zug gemächlich aus dem großen Hamburger Hauptbahnhof rollte und schaute aus dem Fenster: Die Sonne lugte im schönsten Winterlicht zwischen den riesigen Krähnen und Baustellengerüsten in der HafenCity hervor.
Jetzt aber arbeiten, dachte ich… Zwei Stunden, ohne Unterbrechungen – denn: Was soll schon passieren?
Am Tisch gegenüber saßen zwei Frauen und unterhielten sich angeregt. Wir hatten Hamburg noch nicht hinter uns gelassen, da holte die eine aus ihrer Tasche zwei durchsichtige Plastikbecher und ein Fläschchen Prosecco. “Bitte nicht”, dachte ich… Die beiden schauten sich verschwörerisch an und ließen die Becher mit einem dumpfen Stoß gegeneinanderklacken.
Sie nahmen einen großen Schluck, als vom Nachbarswagen ein Passagier hektisch hereinkam. “Ist hier ein Arzt oder eine Krankenschwester?” fragte er laut. Eine besorgt schauende Frau folgte ihm.
Eine Zugbegleiterin wollte bei uns in Wagen 3 gerade die Tickets kontrollieren, und folgte ihnen in den Vorraum zwischen den beiden Waggons. Ich beobachtete, wie der Mann und die Frau mit ihr aufgeregt sprachen. Ihre Augen wurden größer und sie griff sofort zum Mikrofon: “Wenn sich ein Arzt oder eine Ärztin im Zug befindet, dann kommen Sie bitte zum Wagen 2.”
30 Sekunden später kamen drei Personen angerannt. Kurz darauf kamen sie wieder zurück – diesmal mit einem ca. 10-jährigen Jungen, der aus der Nase blutete.
Ihnen folgten zahlreiche Passagiere. Ein Mann stand neben mir und fragte: “Darf ich mich hier hinsetzen? Wir müssen alle Wagen 2 verlassen. Da hat ein Fremder auf einen Jungen eingeschlagen.”
Die Damen vom Tisch gegenüber nahmen den letzten Schluck aus ihren Plastikbechern. Wir schauten uns alle irritiert und ungläubig an.
Die Zugbegleiterin guckte schnell herein: “Ich habe einen Notruf abgesetzt, die Bundespolizei ist informiert. Wir werden gleich irgendw…