„Ich hätte mir gewünscht, dass mir zugehört und geglaubt wird. Alles drehte sich um ihn.“
“Ich war 15 als ich ihn kennenlernte.
Er war freundlich, zuvorkommend und schenkte mir die Aufmerksamkeit, die ich wollte.
Es ist dieses schwierige Alter, in dem die Hormone verrücktspielen. Sobald jemand besonders nett zu einem ist, plant man schon die Hochzeit. Gleichzeitig weiß man selbst noch gar nicht, wer man ist und was man will und braucht. Die einzigen Dinge, die man über Beziehungen weiß, sind aus Filmen, Serien und dem Elternhaus. Ich freute mich über seine Aufmerksamkeit. Und ich wollte einen Freund. Anfangs schrieben wir nur über WhatsApp, später trafen wir uns auch am Wochenende für wenige Stunden. Ganz am Anfang unserer Gespräche via WhatsApp fragte er nach einem Bild von mir in Unterwäsche. Ich habe ihn darauf hingewiesen, dass ich das nicht tun werde und die Nachfrage sehr dreist finde. Ich war sauer. Gleichzeitig war er aber sonst gar nicht der Typ, dem ich sowas zugetraut hätte. Er war eher ein Außenseiter. Einer, der einem eher nicht auffällt. Nicht einer dieser obercoolen Typen, die sich in den Mittelpunkt drängen und die coolsten Klamotten tragen. Ich war verwirrt und gewährte ihm eine zweite Chance. Dummerweise – denke ich immer noch. Noch heute frage ich mich, warum ich nach dieser Aktion alles erst habe beginnen lassen.
Wir wurden ein Paar. Nach außen schien alles perfekt, aber wenn wir alleine waren, war es anders. Wir kuschelten viel, knutschten. Macht das, was junge Pärchen in diesem Alter halt machen. Er fragte mich eher unterschwellig und scheinbar vorsichtig, ob ich nicht Lust auf ihn habe. Ich hatte vorher nie darüber nachgedacht und war in dem Moment etwas überfordert. Ich war noch nicht bereit und wusste nicht, wie ich das sagen soll. Ich wollte ihn ja schließlich nicht vor den Kopf stoßen. Ich sagte, dass ich noch etwas Zeit brauche. Er versicherte mir daraufhin, dass er das verstünde und mir die Zeit geben möchte. Aber er wolle mir schon mal einen Vorgeschmack geben. So kam es, dass immer wenn wir uns sahen, er mich – wie er es nannte – „verwöhnte“. Er verwöhnte mich mit seinen Fingern. Anfangs war ich neugierig, merkte aber schnell, dass auch das noch zu früh für mich war. Zu dem Zeitpunkt waren wir vielleicht zwei oder drei Monate zusammen und ich gerade 16 geworden. Im Freundeskreis wurde das Thema Sex immer präsenter und die ersten berichteten von ihrem ersten Mal.
Ich zeigte ihm verbal und körperlich, dass ich nicht will. Doch er war zwei Köpfe größer und wahrscheinlich doppelt so schwer wie ich. Ich hatte keine Chance. Als er fertig war, stand ich auf, machte mich für die Schule fertig
Bei den Treffen mit ihm kam es immer dazu, dass er nicht „verwöhnte“. Auch wenn ich ihm sagte, dass ich keine Lust habe oder nicht möchte, überredete er mich. „Komm, ich weiß doch, dass es dir gefällt.“, oder „Das sagst du immer und dann macht es dir doch Spaß.“ Oder er nervte und probierte es so lange bis ich keine Energie mehr hatte, um zu widersprechen und es einfach über mich ergehen ließ. Ich dachte, es gehört dazu: mal was für den Partner machen, auch wenn man es nicht möchte. Irgendwann schliefen wir zum ersten Mal miteinander und ich fands schön. Mit dem ersten Mal endeten sein „Verwöhnen“. Damit aber auch unser Vorspiel. Er konnte, also ging es los. Ich habe es damals nicht kapiert. Ich habe nicht gelernt, wie man so richtig mit dem ganzen Körper mit einer Person schläft. Ich habe nicht gelernt, wie sich ein Orgasmus anfühlt oder wie man richtig Spaß dabei hat. Während er mit mir schlief, habe ich über meine Hausaufgaben nachgedacht oder in Gedanken aus dem Fenster gesehen. Trotzdem habe ich mich danach mies gefühlt. Ich habe mich schuldig gefühlt, dass ich nicht richtig „bei der Sache“ war. Die Beziehung dauerte an und viele der Dinge, die ich eben beschrieben habe, habe ich so richtig erst im Nachhinein verstanden. Als es zu unserer letzten gemeinsamen Nacht kam, waren wir gerade zwei Jahre zusammen. In dieser Zeit haben wir uns öfter gestritten. Ich wollte mich trennen und schaffte es nicht. Er überredete mich zu bleiben, versprach Besserung oder drohte, sich etwas anzutun. An diesem Donnerstag hatten wir uns wieder gestritten und er wollte vorbeikommen, um sich zu entschuldigen. Ich überredete meine Eltern, dass er ausnahmsweise mal unter der Woche bei mir übernachten dürfte. Er kam abends zu mir. Wir legten uns in mein Bett und redeten. Nachdem wir uns ausgesprochen hatten, wollte er mit mir schlafen. Ich verneinte und meinte, ich sei müde. Morgen müssen wir beide in die Schule. Außerdem fühlte ich mich nach dem Streit noch nicht sonderlich beruhigt oder sicher, wieder mit ihm zu schlafen. Ich wusste nicht, ob ich diese Beziehung noch will. Er probierte es in der Nacht noch einmal. Wieder stieß ich ihn weg. Am Morgen weckte er mich mit Küssen und seine Hände wanderten über meinen Körper. Ich zeigte ihm verbal und körperlich, dass ich nicht will. Doch er war zwei Köpfe größer und wahrscheinlich doppelt so schwer wie ich. Ich hatte keine Chance. Als er fertig war, stand ich auf, machte mich für die Schule fertig. Er setzte mich vor meiner Schule ab. Ich fragte ihn noch, ob auch alles in Ordnung wäre, wenn wir keinen Sex gehabt hätten. Er schaute verwundert und meinte nur „ja klar“. Später schrieb ich nur, dass ich ihn nie wieder sehen will und es endgültig vorbei ist. Zwei Monate hat er noch immer wieder versucht Kontakt aufzubauen oder mit mir zu reden. Ich blockte alles ab. Dann hatte er eine neue Freundin.
Ich hatte in der Zwischenzeit auch jemanden kennengelernt. Jemand, der ganz anders war. Wir kannten uns aus der Schule und hatten einige Kurse gemeinsam. Wir verstanden uns gut und hatten auch viel Kontakt. Alles auf freundschaftlicher Basis. Wir trafen uns auch häufiger, als Freunde. Irgendwann nach einer Party, als wir beide getrunken hatten, übernachtete ich bei ihm. Eins kam zum anderen und wir schliefen miteinander. Am nächsten Morgen fragte er mich, ob wir zusammen sein wollen. Ich war etwas überrascht. Das war eigentlich nicht meine Intension. Aber ich mochte ihn ja und er schien so ganz anders als mein Exfreund. Ich bin eine lebensfrohe, laute und aufgeschlossene Person. Ich hatte damals viele Freunde aus mehreren Freundeskreisen, tanzte in einer Showdance-Gruppe auch auf Dorffesten vor vielen Menschen und war generell gerne auf Partys. Ich fand toll, dass er diese Dinge an mir mochte. Ich riss ihn mit und beeindruckte ihn mit meiner vorlauten Art. Ich hatte immer einen Spruch auf den Lippen und gab nie klein bei. Er sagte mir immer wieder, wie toll er das an mir fand. Irgendwann wendete sich alles. Er wurde zunehmend eifersüchtiger. Für mich war die Eifersucht unbegründet. Ich versicherte ihm, dass ich ihn niemals betrügen würde. Auf Partys wollte er immer dabei sein und ich sollte möglichst den ganzen Abend bei ihm bleiben. Ich sagt ihm, dass ich das nicht mitmache. Ich wollte Spaß haben und tanzen. Sobald ich mit einem anderen Jungen redete, kam er sofort und stellte sich dazwischen. Dann fing er an mir vorzuschreiben, was ich nicht mehr anziehen darf. Ich sagte ihm immer, dass ich mich nicht einengen lasse. Aber irgendwann war mir das zu anstrengend. Einmal schaute er in mein Handy als ich schlief und durchsuchte meine Chats nach irgendwelchen Hinweisen, dass ich ihn betrüge. Nach einem halben Jahr machte er mit mir Schluss. Ich würde nur feiern und mich mit meinen Mädels treffen, aber nicht genug Zeit mit ihm verbringen wollen, sagte er.
An einem Tag war es dann soweit. Ich musste nur noch 20 Meter diesen Weg entlang, bevor ich endlich abbiegen konnte. Da sah ich sein Auto in den Weg einbiegen. Ich ging zur Seite, sodass er gut vorbei fahren kann. Kurz vor mir hat er das Gaspedal durchgedrückt und ist auf mich zu gefahren. Ich sprang zur Seite. Da hatte ich meine erste Panikattacke.
Danach begann der Horror. Er beleidigte mich. Zuerst nur subtil. „Du hast doch eh jedes Wochenende einen anderen Kerl.“ Über diese Aussagen konnte ich noch lachen. Es stimmte nicht und selbst wenn, es hatte ihn nicht mehr zu interessieren. Später wurden seine Beleidigungen härter. Er begann, mich zu bedrohen: Ich werde irgendwann schon sehen, was mir das alles bringe. All das war nicht schlimm, im Gegensatz zu dem, was mich in der Schule erwartete. Er versuchte, mir alle Freunde zu nehmen. Wir waren nur ein kleiner Jahrgang, mit ca. 80 Leuten. Er verbreitete Lügen und versuchte, mich in den Dreck zu ziehen. Alle redeten über mich. Es gingen verschiedenste Gerüchte über mich herum. Er erzählte FreundInnen Dinge, die ich angeblich zu ihm über sie gesagt hätte, um mich bei ihnen schlecht dastehen zu lassen. Er äußerte sich über meinen Körper. Ich war schon immer unsicher wegen meiner kleinen Körbchengröße. Eine Freundin erzählte mir folgenden Satz, den ich bis heute nicht vergessen kann. „Sie hat keine Brüste, das sind nur Nippelerhebungen.“ Bis heute ist das wie ein Stich. Er verbreitete außerdem ein Bild in Unterwäsche von mir. Ich wollte ihm das in der Beziehung nicht senden. Er hat mich überredet.
Das konnte so nicht weitergehen. Ich war am Ende. Ich vertraute mich meinen Eltern an. Wir überlegten gemeinsam, was wir tun könnten. Ich wollte nicht persönlich mit ihm sprechen und wollte auch nicht, dass meine Eltern mit seinen sprechen. Wir haben uns dann an meine Tante gewendet, die Polizistin ist. Ich habe begonnen, alles zu dokumentieren. Ich habe seine Drohungen gescreenshottet und Freunde gebeten, seine Aussagen via Nachricht ebenfalls zu screenshotten. Ich druckte alles aus. Mit meinen Eltern einigte ich mich, zur Vertrauenslehrerin meiner Schule zu gehen. Ich mochte diese Lehrerin und sah es als letzten Ausweg bevor ich zur Polizei ging. Ich wollte zu dem Zeitpunkt einfach nur, dass es aufhört. Es war das letzte Halbjahr der zwölften Klasse. Die Abiprüfungen standen kurz bevor. Im Gespräch mit der Vertrauenslehrerin, bot sie mir zwei Möglichkeiten. Ich könne mit ihm reden und sie vermittelt oder sie redet alleine mit ihm. Ich wählte die zweite Variante. Ich hatte so Angst vor ihm und bekam schon Panik bei dem Gedanken, ihm gegenüber sitzen zu müssen. Sie redete mit ihm und es kam genau so wie ich es erwartet hatte. Er zog sie auf ihre Seite. Ich weiß, die Behauptung klingt heftig. Gerade das sollte man als Vertrauenslehrerin nicht tun. Sie teilte mir nach dem Gespräch mit ihm mit, dass er alles bereue und ich mir keine Gedanken machen brauch. Ich glaubte ihr kein Wort. Und ich merkte an der Art und Weise wie sie mit mir redete, dass SIE ihm glaubte. Er hat sie, wie alle anderen auch, auf seine Seite gezogen. Danach hatte ich keine Kraft mehr zur Polizei zu gehen. Ich wollte nicht, dass es noch schlimmer wird. Ich hatte Panik, dass er mir nach einer Anzeige noch etwas viel schlimmeres antut. Es kam dann noch zu einem Vorfall. Auf meinem Heimweg nach der Schule musste ich immer eine sehr schmale Straße entlang. Auf ihr passte geradeso ein Auto durch. Ich wusste, dass er diesen Weg fährt, wenn er einen gemeinsamen Freund besuchen will. Jeden verdammten Tag hatte ich Angst, diesen Weg zu gehen. An einem Tag war es dann soweit. Ich musste nur noch 20 Meter diesen Weg entlang, bevor ich endlich abbiegen konnte. Da sah ich sein Auto in den Weg einbiegen. Ich ging zur Seite, sodass er gut vorbei fahren kann. Kurz vor mir hat er das Gaspedal durchgedrückt und ist auf mich zu gefahren. Ich sprang zur Seite. Da hatte ich meine erste Panikattacke.
Ich bin mehr oder weniger immer selbst aus diesen toxischen Beziehungen gekommen. Ich hatte dabei aber immer Unterstützung von vielen Freundinnen. Aber vor allem bei der zweiten Geschichte, wusste ich irgendwann nicht mehr, wem ich vertrauen kann. Wer glaubt ihm mehr als mir? Wer ist wirklich für mich da? Wer hat ihm vielleicht von meinen Ängsten erzählt? Wer macht sich über mich lustig? Ich kann nicht genau sagen, wie ich daraus gekommen bin. Irgendwie habe ich immer weiter gemacht. Ich habe die Schule beendet, gefeiert, viel mit wenigen Freunden darüber gesprochen, vieles aufgeschrieben. Das reden hat mir immer geholfen. Ich wusste, dass ich nicht schuld bin. Ich hatte sicherlich einige Dinge übersehen, die mich schon früher gewarnt hätten. Aber so etwas kann niemand erwarten. Ich habe mich nur immer wieder gefragt, warum gerade ich? Warum zweimal hintereinander? Womit hatte ich das verdient?
Es gibt kaum Aufklärung darüber, was wirklich zu einer gesunden Beziehung gehört. Ich wünsche mir, dass an Schulen, im Internet und in der Familie viel deutlicher kommuniziert wird, was eine gesunde Beziehung ist.
Nach dem letzten Vorfall kam nur noch der Abiball und ich wusste, danach sehen wir uns nie wieder. Ich wusste, durch die räumliche Trennung wird alles eine Ende haben. Ich zog 300 km entfernt von meinem Heimatdorf in eine größere Stadt. „Jetzt kann ich alles hinter mich lassen“, dachte ich. Doch ich bekam wöchentlich Panikattacken bekommen und suchte mir einen Therapeuten. Er hat mir geholfen. Ich habe heute keine Panikattacken mehr.
Allerdings kann ich auch nicht sagen, dass ich normal bin. Ich habe viele Ängste, kann Kontrolle nicht abgeben und kann nur sehr schwer Vertrauen aufbauen. Ich habe bis heute kein gesundes Verhältnis zu Beziehung und Sex. Ich kann mich beim Sex nicht fallen lassen. Aber ich weiß, dass ich stark bin. Wenn das alles etwas gebracht haben soll, dann das. Ich stehe für mich auf, kämpfe für mich und lasse mich nicht unterkriegen.
Es ist schlimm, dass mir das passiert ist. Ich finde aber noch viel schlimmer, dass es immer wieder passiert und dass andere junge Mädchen auch sowas durchleben müssen. Die Romantisierung in Filmen und Serien von Gewalt gegen Frauen (siehe 365 days oder Fifty Shades of Grey) legitimiert solches Verhalten bei Jungen und Männern. Es gibt kaum Aufklärung darüber, was wirklich zu einer gesunden Beziehung gehört. Ich wünsche mir, dass an Schulen, im Internet und in der Familie viel deutlicher kommuniziert wird, was eine gesunde Beziehung ist. Vor allem Jugendliche sehen Beziehung und Liebe im Zusammenhang mit Besitz und das ist einfach falsch. Ich hätte mir gewünscht, dass mir zugehört und geglaubt wird. Alles drehte sich um ihn. Warum er was gemacht hat. Ihm wurde zugehört. Ich war nur das Opfer, aber das wollte ich nie sein. Ich würde mich auch heute niemals als Opfer bezeichnen, sondern wenn dann als Betroffene. Es muss viel mehr Präsenz geben für diese unterschwellige Gewalt. Als ich jünger war, war Gewalt gegen Frauen für mich die erhobene Hand. Aber es ist so viel mehr. Es ist die unbegründete Eifersucht, das Verbieten, das Einengen, das Vorschreiben, das Einschüchtern und so viel mehr. Ich glaube, vielen ist gar nicht bewusst wann Gewalt anfängt und was alles falsch ist und eben nicht in eine gesunde Partnerschaft gehört. Da sollte angesetzt werden. Junge Mädchen sollten in ihrem Selbstbewusstsein gestärkt werden. Unangemessenem Verhalten von Jungen und Männern darf nicht nur mit der Aussage „Boys will be Boys“ entgegnet werden. Und für mich das A und O: reden, reden, reden.
Ich wünsche mir außerdem, dass Kinder schon früh lernen, das jeder seine individuellen Grenzen hat und es die zu respektieren gilt. Wenn Kinder gekitzelt werden, muss ein „Hör auf!“ respektiert werden. Denn nur wenn Kinder lernen, was ihre Grenzen sind, können sie die bei anderen auch akzeptieren. “Nein heißt nein“ – das muss früh gelernt und eben auch von Erwachsenen gezeigt werden.“
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