Ein Kind mehr, wäre ein Kind zu viel

Nach drei gesunden Kindern hat Malin sich gegen die vierte Schwangerschaft entschieden und diese abgebrochen. Was zu der Entscheidung geführt hat und wie es ihr damit geht, erzählt sie in diesem Bericht

Triggerwarnung: Schwangerschaftsabbruch. Ich möchte hier ein Tabu brechen und über meinen Schwangerschaftsabbruch erzählen. Dies ist meine Geschichte und ich schildere meine Empfindungen. Sollte dich das Thema triggern, empfehle ich dir, nicht weiterzulesen.

Zum Schutz der Privatsphäre hat die Redaktion Malins Namen geändert. Der echte Name liegt der Redaktion vor.

Ich habe drei gesunde Kinder. Die ersten beiden habe ich als geplante Wunschkinder im Abstand von zwei Jahren friedlich auf die Welt gebracht. Als sich die dritte Schwangerschaft ankündigte, habe ich noch gestillt. Mein gerade wieder erst eingesetzter Zyklus war unregelmäßig und wir haben mit Temperaturmessung und einem Ovulationsring versucht die fruchtbaren Tage zu umgehen. Es hat drei Zyklen geklappt, im vierten wurde ich ungeplant schwanger. Das war knapp nach dem ersten Geburtstag unseres zweiten Kindes. Doch die Freude nach dem positiven Test blieb aus. Stattdessen stellten wir uns die Frage: Können wir das jetzt stemmen? Und: wollen wir das? Selbstständigkeit, zwei Kleinkinder, keine Betreuung, und ein Baby dazu?

Als sich liebendes, auf das Leben vertrauendes und hoffnungsvolles Paar, trafen wir vor dem ersten Ultraschall den Entschluss: Wir schaffen das. Wir wollten ohnehin ein drittes Kind, nur ursprünglich eben etwas später. Es folgte eine glückserfüllte Schwangerschaft und eine wunderschöne Geburt (2021) im Kreise unserer Kinder, Hebammen und unserer Doula, einer nichtmedizinischen Geburtshelferin.

Im Wochenbett wurde Malin krank

Im Wochenbett bekam ich plötzlich hormonbedingt Migräneanfälle, zum ersten Mal in meinem Leben. Sie blieben und wurden zur unangenehmen Routine. Kurz darauf wurde eine postnatale Depression diagnostiziert. Ich kämpfte monatelang gegen unendliche Müdigkeit, Schmerzen und suizidale Gedanken. Ich war gefangen in Aussichtslosigkeit und Überforderung. Es war die Hölle: Jeden Tag für meine Kinder alles geben zu müssen, obwohl man gar nichts kann. Ich fühlte mich unfähig zu leben, geschweige denn, Aufgaben zu Hause zu erledigen, wie Essen vorzubereiten. Auch kämpfte ich mit der Krankenkasse. Sie unterstütze mich nicht. Alle Anträge auf Hilfe und Therapie wurden abgelehnt.

Irgendwann gab ich auf. Ich war die meiste Zeit mit mir, meinen drei Kindern und den Dämonen, die mir jegliche Leichtigkeit und Lebenslust raubten, allein. Das soll nicht den Eindruck erwecken, als sei mein Mann nicht da gewesen. Auch er ging völlig über seine Grenzen und war einem Burnout nahe. Er war so oft da, wie es seine Selbstständigkeit erlaubte und versuchte, allen gerecht zu werden. Doch da ich den drei Jahren Elternzeit als Selbstständige kein Elterngeld bekommen habe, war er auch für unser gesamtes Einkommen zuständig. Und obwohl er oft für uns da war, fühlte ich mich einsam. Einsam, mit dem Zustand in meinem Kopf. Ich war unendlich erschöpft.

Zudem war ich schon lange nicht mehr die Mama, die ich mal war und die ich sein wollte. Ich wurde meinen niedrigsten Ansprüchen nicht mehr gerecht. Durch diese Krankheit verlor ich meine Empathie für die Kinder und ihre Bedürfnisse.

Nach 18 Monaten geht es Malin besser

Der Zustand hielt über 18 Monate an. Als endlich wieder Sommer wurde und ich eine private Therapie beginnen konnte, unser mittleres Kind nach fast 3 Jahren zu Hause einen Betreuungsplatz bekam und ich anfing auf einen Geschwisterplatz für das Jüngste zu hoffen, sah ich Licht am Ende des Tunnels. Nach über 18 Monaten konnte ich lächeln, laut lachen und Freude empfinden. Mein Herz fing an, wieder im richtigen Takt zu schlagen.

Ein erneuter Schwangerschaftstest bringt Malins Welt zum wanken

Dann kam vor vier Wochen der Moment, in dem ich dachte: Mist, ich bin überfällig! Wie kann das sein? Wir haben verhütet. Und doch bewahrheitete sich der Gedanke. Wir sind schwanger. Ungewollt und ungeplant.

Den Test haben wir wie immer gemeinsam gemacht. Unausgesprochen wussten wir, dass wir uns diesmal nicht dafür entscheiden können. Kraft ist nicht verhandelbar. Ressourcen können wir uns nicht kaufen. Wir können nicht noch mehr geben, nicht mehr über unsere Grenzen gehen.

„Wir weinten gemeinsam“

Wir trauerten gemeinsam um die Dinge, die wir uns mit dieser Entscheidung nehmen. Eine vierte Schwangerschaft. Eine vierte Hausgeburt. Ein viertes Wunder in unserer Mitte begrüßen und großlieben. Wir dürfen traurig sein. Und wir dürfen uns dagegen entscheiden. Dies ist unser Leben. Es ist keine egoistische Entscheidung, sondern eine, die unsere Ressourcen, unsere Kraft, unsere Bedürfnisse, unsere Wünsche, unsere Ziele und unsere Beziehungen innerhalb der schon bestehenden Familie miteinbezieht.

Also gingen wir zwei Tage später gemeinsam zur Gynäkologin. Sie machte einen Ultraschall, um die Schwangerschaftswoche zu bestimmen. Währenddessen hielten wir uns an der Hand. In Woche 5+6 blinkte uns der Punkt an. Wir weinten gemeinsam. Unsere Gynäkologin begleitet uns seit zehn Jahren. Sie kennt uns vom Kinderwunsch an. Und jetzt war sie so einfühlsam, wie wir es nicht erwartet hätten. Es tat gut, professionelle Unterstützung zu fühlen. Das half, um neue Glaubenssätze zu finden und meine Gedanken zu sortieren.

Die Wartezeit bis zum Eingriff belasten Malin sehr

Nach dem gesetzlich vorgeschriebenen Beratungstermin musste ich fünf Tage warten. Diese Tage waren unglaublich belastend für mich. Wir haben uns entschlossen, niemandem von der Schwangerschaft zu erzählen. Das war emotional nicht einfach. Und auch physisch war ich belastet: Ich war müde, mir war übel und ich hatte Kreislaufprobleme. An jedem Tag wurde deutlicher: Ich möchte das nicht. Ich möchte keine Nebenwirkungen der Hormone spüren. Ich bin doch gerade erst wieder dabei, auf die Beine zu kommen.

Dann folgte der Beratungstermin in der Praxis, die den Abbruch vornehmen würden[1]. Ich wurde diskret und respektvoll empfangen. Wir saßen im Wartezimmer zwischen Schwangeren und Mamas mit Neugeborenen. Wir waren mit unserem Kleinkind da. Das war eine bizarre Situation!

Der behandelnde Arzt war kompetent und hat uns alles schnell erläutert. An den nächsten drei Tagen habe ich viel geweint. Viel geschlafen. Viel geträumt. Und wieder viel geweint. Wenn ich an den Eingriff dachte, wurde ich furchtbar nervös.

„Und ich muss mich um mich kümmern, damit ich mich um meine Kinder kümmern kann“

Zwischendurch kamen auch Gedanken hoch, ob wir es nicht doch schaffen können. Ob es nicht eine Möglichkeit gab, dieses Kind großzuziehen. Unsere Antwort war: Klar. Irgendwie würden wir das schaffen. Aber irgendwie ist nicht unser Anspruch. Gewaltfrei ist unser Anspruch. Mentale Gesundheit ist unser Anspruch. Genug Exklusivzeit für jeden ist unser Anspruch. Paarzeit und Me-Time sollten auch vorhanden sein. Alles Dinge, die wir schon in den vergangenen zwei Jahren kaum leisten konnten. Ich bin psychisch krank. Ich muss mich jetzt um mich kümmern, damit ich mich um meine Kinder kümmern kann, die an meiner Hand laufen.

Am Tag des Eingriffs ging es mir nicht gut. Ich weinte zu Hause und war sehr aufgeregt. Ich hatte Angst vor der Vollnarkose und vor der Ungewissheit wie es mir im Anschluss gehen wird. Dieser Gedanke, jetzt war ich noch schwanger und gleich nicht mehr, war so unwirklich und verrückt. Meine Entscheidung stand fest. Trotzdem ist das Tragen dieser Entscheidung so schwer. Das Tragen der Verantwortung ist so schwer. Das Ertragen der Tragweite. Das Fühlen der Gefühle.

Mein Mann begleitete mich in die Praxis. Dann nahm mich die Anästhesistin mit, erklärte noch einmal alles und beruhigte meine Aufregung. Ich ging zur Toilette, zog mich um und wurde von einem sehr freundlichen Pfleger abgeholt. Im Aufwachraum legte er mir einen Zugang und weil ich plötzlich Panik bekam, wurde ich von ihm getröstet.

Später lief ich gemeinsam mit meinem Mann nach Hause und ich ruhte mich aus. Ich hatte immer wieder periodenähnliche Schmerzen und blutete. Aber vor allem war ich froh, dass ich es überstanden hatte.

„Es fühlte sich gut an, nicht schwanger zu sein“

Am nächsten Tag machte sich tatsächlich schon Erleichterung breit. Damit hatte ich so schnell nicht gerechnet! Außerdem waren Übelkeit, Müdigkeit und Schwindel wie weggeblasen. Ich hatte auch keine Schmerzen mehr. Nicht mal eine körperliche Erschöpfung, aufgrund des Eingriffs, spürte ich. Ich spürte nur, dass es sich gut anfühlt, nicht schwanger zu sein.

Heute, 16 Tage nach dem Eingriff, empfinde ich auch so. Wir haben drei gesunde, willensstarke Wildfänge zu Hause, die unsere Energie zu 100 Prozent brauchen. Wir sind unendlich dankbar für unsere Familie und für unser Privileg, in einem Land zu leben, in dem Schwangerschaftsabbrüche legal und sicher sind.

Die letzten Wochen waren hart aber sie haben uns als Paar auch stark verbunden. Gleichzeitigkeit darf sein. Traurigkeit und Erleichterung werden gefühlt.


[1] Anmerkung der Redaktion: Es gibt verschiedene Methoden, einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen. Malin hat sich in Absprache mit ihrer Ärztin für den operativen Eingriff entschieden, der in örtlicher Betäubung oder Vollnarkose durchgeführt werden kann. Außerdem gibt es den medikamentösen Abbruch.

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