„Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie tief der Schmerz sitzen kann, wenn das Wunschkind länger auf sich warten lässt. Diesen Schmerz wünsche ich niemanden und erhoffe mir einen leichteren Zugang für alle Menschen zur Kinderwunschbehandlung in Deutschland – egal, ob hetero-oder homosexuell.
Wenn homosexuelle Menschen eine Familie gründen wollen, gibt es viele Hürden zu überwinden. Einige Hürden fangen im Kopf an. Das können Fragen sein wie: Darf ich als homosexueller Mensch einen Kinderwunsch haben? Kann ich meinem zukünftigen Kind ein Leben mit homosexuellen Eltern „zumuten“? Was werden meine Familie und Freunde dazu sagen? Welche Wege kann ich gehen, um eine Familie zu gründen?

Nicht nur der gesellschaftliche Druck, sondern auch gesetzliche Regelungen machen es Homosexuellen noch immer schwer, beim Kinderwunsch unterstützt zu werden. Seit 2017 gibt es zwar die Ehe für alle in Deutschland, womit allen Paaren ermöglicht wird zu heiraten, aber vielen Menschen ist nicht bewusst, dass es immer noch keine komplette Gleichstellung gibt.
Da die Leihmutterschaft in Deutschland strikt verboten ist, haben schwule Paare nur die Möglichkeit durch Co-Parenting leibliche Eltern zu werden.
Lesbische Paare bekommen keine Kinderwunschbehandlung bezahlt und die nichtleibliche Mutter muss einen langwierigen Stiefkindsadoptionsprozess durchlaufen. Dazu gehören Notarbesuche, Jugendamtsbesuche, Familiengerichtsanhörung, das Schreiben eines Lebensberichtes, ärztliche Atteste und die Offenlegung aller Finanzen. Bei heterosexuellen Paaren hingegen steht automatisch der Ehemann als Vater in der Geburtsurkunde, auch, wenn das Kind durch eine Samenspende gezeugt wurde oder durch eine außereheliche Beziehung oder Affäre entstanden ist.
Auch heterosexuelle Paare müssen gewisse Anforderungen erfüllen, um durch die Krankenkasse (und durch einige Bundesländer) beim Kinderwunsch unterstützt zu werden. Zum Beispiel müssen sie meistens verheiratet sein, gewisse Altersgrenzen nicht unter- oder überschreiten, ein medizinisches Problem vorweisen können und das genutzte Erbgut muss ausschließlich von dem Paar stammen.
Für diesen Artikel habe ich mich bei mehreren großen Krankenkassen nach einem Zuschuss für die Kinderwunschbehandlung bei Frauenpaaren erkundigt. Die AOK Baden-Württemberg ist die einzige, die auch verheiratete Frauenpaare bezuschusst, sofern beide Frauen ein medizinisches Problem haben. Was diese Regelung nicht beachtet, ist, dass nicht jede Frau ein eigenes Kind austragen möchte.
Im Vergleich dazu muss bei einem heterosexuellen Paar nur eine Person ein medizinisches Problem haben. Das bedeutet, Frauenpaare bekommen, bis auf vielleicht ein paar Ausnahmen, keine finanzielle Unterstützung beim Kinderwunsch.
Diese gesetzlichen Regelungen betreffen mich auf zwei Ebenen: Auf der einen Seite geht das gegen meinen Gerechtigkeitssinn: Ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der alle Menschen gleich sind und auch allen der gleiche Zugang zu (bezahlten) medizinischen Methoden gewährt wird. Niemand sollte bei der Anerkennung von (Stief-)Kindern benachteiligt werden, ganz gleich, welche sexuelle Orientierung vorliegt.
Die Regelung betrifft mich aber auch ganz persönlich: Ich, als lesbische Frau, bekäme keine Kinderwunschbehandlung bezahlt, obwohl ich verheiratet bin, die Altersgrenze nicht unter- oder überschreite und sogar ein medizinisches Problem habe. Ich erfülle alle Anforderungen, nur können wir als Frauenpaar nicht das komplette Erbgut stellen.
Selbst, wenn ein Frauenpaar über ausreichend finanzielle Mittel verfügt und alle Anforderungen erfüllt, ist es trotzdem nicht so einfach, eine Kinderwunschpraxis oder Samenbank zu finden, die einen auch behandelt. Viele Ärzt*innen befürchten nach wie vor Unannehmlichkeiten, wenn sie Frauenpaare bei der künstlichen Befruchtung assistieren. Sie sind verunsichert, da nicht alle Bundesländer in ihrer Berufsordnung der Landesärztekammerammen explizit die Behandlung von gleichgeschlechtlichen Paaren erlauben.
Weltweit gesehen sind andere Länder schon sehr viel weiter bei der Gleichstellung. Zum Beispiel wird die Behandlung in Estland und in einigen Bundesstaaten der USA voll bezahlt. Auch unser Nachbarland Österreich macht bei der Bezuschussung keine Unterscheidung zwischen homo- oder heterosexuellen Paaren. Sofern die austragende Frau ein medizinisches Problem aufweist, bekommt sie bis zu vier Behandlungen bezuschusst.
„Jedes Gesetz ist immer auch ein Statement eines Staates. Es zeigt auf, welchen Werten er sich verpflichtet fühlt.“
Cora Hansen
Was neben der finanziellen Belastung einer Kinderwunschbehandlung und dem aufreibenden Stiefkindsadoptionsverfahren noch schwerer wiegt, ist die Aussagekraft dieser gesetzlichen Diskriminierung. Jedes Gesetz ist immer auch ein Statement eines Staates. Es zeigt auf, welchen Werten er sich verpflichtet fühlt. Deutschland hat als Sozialstaat die Prämisse, Familien zu unterstützen. Deswegen ist er daran interessiert, dass es möglichst viele Kinder gibt und es diesen möglichst gut geht. Aus diesem Grund gibt es die wunderbaren Förderungen wie Elterngeld, Mutterschutz, Kindergeld, Betreuungszuschüsse und eben auch die Bezuschussung (bzw. teilweise 100 % Finanzierung) von Kinderwunschbehandlungen.
Die Fragen, die diese diskriminierenden Gesetze aufwerfen, sind: Wer entscheidet in unserer Gesellschaft, wer Kinder großziehen darf? Darf eine Gesellschaft bestimmen wer Kinder aufziehen darf? Werden wir durch die unfaire Verteilung von finanziellen Mitteln bereits fremdbestimmt? Welche Maßstäbe sollen hier gelten? IQ? Finanzielle Situation? Politische Ausrichtung? Beruf? Schulabschluss? Akademische Ausbildung?
Meine Frau und ich wussten schon früh in unserer Beziehung, dass wir eine Familie gründen wollten. Das war auch einer der Gründe, warum wir 2015 eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingingen. Damals gab es noch keine Ehe für alle sowie keine andere Möglichkeit durch die wir beide als rechtliche Mütter hätten anerkannt werden können. Das bedeutet, dass keine Stiefkindsadoption möglich gewesen wäre.
Was während der Kinderwunschzeit besonders belastend war, waren die unzähligen gutgemeinten „Tipps“ und „Ratschläge“ unseres Umfeldes. Über den Tipp sich zu entspannen, denn dann würde das schon klappen mit dem Kinderwunsch, kann ich inzwischen lachen. Lesbischen Frauen oder allgemein Kinderwunschpatientinnen werden eben nicht allein von Entspannung schwanger, sondern müssen aktiv werden, um eine Schwangerschaft herbeizuführen. Ein unerfüllter Kinderwunsch kann sehr einsam machen, da es für das direkte Umfeld oft nicht verständlich ist, wie sehr man darunter leidet. Freunde oder Familienmitglieder verhalten sich teilweise (unbewusst) unsensibel und verletzend. Mir war selbst früher nicht klar, dass das Thema „Familienplanung“ ein sehr persönliches und manchmal eben auch sehr belastetes und schmerzhaftes Thema sein kann. Heute würde ich nicht wieder jemanden einfach so fragen, wie es denn mit eigenen Kindern aussieht. Wunschkinder lassen zu häufig auf sich warten.

Meine Frau und ich wurden mit der Unterstützung eines Freundes Eltern. Es war uns sehr wichtig, dass wir den Spender/Vater persönlich kennen und mögen und dass unser Kind mit ihm eine freundschaftliche Beziehung haben kann.
Nach drei Jahren und zwei Fehlgeburten wurden wir 2018 Eltern eines Sohnes. Der Weg war lang und mühsam, aber wir sind sehr glücklich, denn wir wissen auch, dass nicht jeder Kinderwunschweg am Ende erfolgreich ist. Und wir wissen, dass es für uns als lesbisches Paar kaum eine andere Option gegeben hätte. Denn in Deutschland hört im Jahr 2020 Gleichberechtigung beim Kinderwunsch auf.“
Über die Autorin:
Ich heiße Cora Hansen, habe einen Master im Mentalen Coaching, bin zusammen mit meiner Frau Eltern eines Kleinkindes und biete unter dem Label „Frau Courage“ Coaching-Angebote für Schwule, Lesben, Bisexuelle, Transgender und intersexuelle Menschen an. Wenn ihr Fragen oder Anmerkungen zu dem Artikel habt, dann freue ich mich über eure Nachricht an meinen Instagram Account „fraucourage“.
Großartiger und sehr informativer Text, der mich etwas erschrecken läßt und tatsächlich sehr viel über die (veralteten, sehr konservativen, negative aber auch positive) Werte unseres Staat aussagt. Jede Medaille hat jedoch mindestens zwei Seiten und daher möchte ich trotzdem in keinem anderen Land leben, denn unter dem Strich und das zählt für mich, fühle ich mich hier sehr sicher, sozial sehr gut versorgt und vor allen Dingen frei. Nichtsdestotrotz, Deutschland hat noch einige Dinge zu lernen und zu ändern.
Hallo,
Ja, das wusste ich und das ist wirklich nicht fair. Hinzufügen möchte ich noch, dass auch heterosexuelle Paare, die alle Kriterien erfüllen, keine Unterstützung bekommen, wenn sie auf Fremdsperma angewiesen sind. Manche Männer sind eben zeugungsunfähig und auch eine TESE nichts bringt.
Allen Paaren, die gerade auf ein Wunschkind hoffen, wünsche ich viel Glück ?
Liebe Grüße
Linda
Gleiches gilt auch für heterosexuelle Paare, die alle Kriterien erfüllen, aber aufgrund von Krankheit oder frühzeitigen Wechseljahren keine Eizellen haben. Auch bei diesen Paaren wird die Behandlung nicht übernommen oder bezuschusst. Die Eizellspende ist in Deutschland immer noch verboten. Dadurch gibt es immer mehr Kinderwunschtourismus.
Liebe Grüße
Linda
Liebe Linda,
vielen lieben Dank für deine Ergänzung!
Ja, leider ist die Förderung auch für einige heterosexuelle Paare nicht ausreichend! Das sollte so nicht sein und mir tut das für jedes betroffene Paar leid!
Ich wünsche mir sehr, dass da ein Umdenken statt findet.
Liebe Grüße
Cora