Das darf doch nicht wahr sein: Hirnschäden von Profifußballern wichtiger als die misshandelter Frauen?

Ehemalige Profifußballer sterben – statistisch gesehen – dreieinhalbmal häufiger an Demenz als Menschen derselben Altersgruppe in der Allgemeinbevölkerung. Das mit jahrelangem Kopfballspiel zusammenhängende Phänomen ist bekannt und gut erforscht. Doch der Zusammenhang zwischen Demenz und traumatischen Hirnverletzungen durch Gewalt in Paarbeziehungen ist nahezu Neuland – dabei ähneln sich die Krankheitsverläufe. Eine Studie soll für Aufklärung sorgen.

Von Sarah Kessler

Der schottische Neuropathologe Willie Stewart ist renommierter Autor einer Vielzahl an Forschungsarbeiten zum Thema Fußball und Demenz. Seit 2021 leitet er die Untersuchung über die lebenslangen Folgen körperlichen Missbrauchs auf das Gehirn. In Großbritannien wird damit zum ersten Mal eine umfassende Studie durchgeführt, die die langfristigen Gesundheitsrisiken für das Gehirn im Zusammenhang mit Gewalt in Partnerschaften untersucht.

Im Rahmen dieser Drake-IPV-Studie (Öffnet in neuem Fenster) (IPV = Intimate Partner Violence, also Gewalt in Paarbeziehungen) werden Veränderungen in der Neurobildgebung bei von häuslicher Gewalt betroffenen Personen untersucht und mit einer Kontrollgruppe verglichen, die keine Misshandlungsgeschichte aufweist. Ziel ist ein besseres Verständnis der durch häusliche Gewalt bedingten Kopfverletzungen. So will die Forschung unter anderem herausfinden, wie solche Kopftraumata konkret zum Demenzrisiko beitragen können.

Den lebenslangen körperlichen Folgen von häuslicher Gewalt wurde bisher wenig Aufmerksamkeit geschenkt: „Es ist bemerkenswert, dass bis zu 30 Prozent der Frauen im Laufe ihres Lebens Opfer von patriarchaler Gewalt werden können, aber so wenig darüber bekannt ist“, sagte Stewart dem Guardian (Öffnet in neuem Fenster). „Selbst diese Studie lässt die Leute aufhorchen und sagen: ‚Moment mal, das kann doch nicht stimmen‘.

Aber es stimmt. Leider gibt es nur verschwindend wenige Studien zu Traumata aus häuslicher Gewalt und deren Pathologie.“

Es ist unglaublich: Bei der Fußball-EM der Männer im Jahr 2021 registrierte England knapp 6.000 professionelle Fußballspieler. Gleichzeitig leben etwa 28,5 Millionen Frauen in dem Land. Etwa ein Drittel dieser Frauen ist statistisch mindestens einmal im Leben von häuslicher Gewalt betroffen: das wären 8,5 Millionen betroffene Frauen. Doch das Erkenntnisinteresse der Medizin fokussierte sich bisher auf die kleine Gruppe der Profifußballer.

Das Wissen über die langfristigen Auswirkungen von häuslicher Gewalt auf die Gesundheit des Gehirns ist deshalb noch immer sehr begrenzt. Hier setzt die Drake-IPV-Studie an: Strukturelle Hirnbildgebungsforschung zeigt Hirnveränderungen bei Frauen, die häusliche Gewalt erlebt haben und lässt vermuten, dass diese Veränderungen mit den Symptomen einer posttraumatischen Belastungsstörung zusammenhängen.

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