
Aus Liebe habe ich meinen Sohn zur Adoption freigegeben
Schwanger? Oh man, ich hatte es mir immer gewünscht, aber jetzt, jetzt doch noch nicht und doch nicht von einem One-Night-Stand, dessen Nachname ich nicht einmal kannte! Da war ich nun, 19 Jahre alt, Abiturientin und schwanger. Und darauffolgend ständig diese eine Frage: Willst du es behalten?
Selbst nachdem ich immer wieder gesagt habe, dass eine Abtreibung für mich nicht in Frage kam, nahm es kein Ende. Wenn ich heute, 9 Jahre später, an meine Schwangerschaft zurückdenke, erinnere ich mich nicht an die ersten Tritte, an das Streicheln meines Bauchs, an die Musik, die ich meinem Kind vorgespielt habe. Stattdessen erinnere ich mich an die ständigen Nachfragen, Blicke und Diskussionen.
Ich habe eine wunderbare und unterstützende Familie, aber dass meine Eltern ihre Selbständigkeit aufgeben, kam nicht in Frage. Ich war überfordert mit der neuen Situation, doch statt Hilfe anzubieten, wurden mir immer nur Auswege gezeigt.
„Ich wollte mit meinem kleinen unverhofften Wunder einer anderen Familie ein Geschenk machen“
Anfang des dritten Trimesters entschied ich mich das Kind nicht zu behalten. Stattdessen wollte ich mit meinem kleinen unverhofften Wunder einer anderen Familie ein Geschenk machen. Einer Familie, die keine eigene Chance auf Kinder hatte. Ich suchte also das Jugendamt noch während der Schwangerschaft auf, erklärte meine Situation und teilte mit, dass ich das Kind nach der Geburt zur Adoption freigeben möchte. Zwar konnten die ersten Dinge bereits ins Rollen gebracht werden, allerdings war eine endgültige Freigabe des Kindes zur Adoption erst 8 Wochen nach der Geburt möglich.
Und dann kam alles Schlag auf Schlag: Ich saß im Auto, um meine Eltern von einer Geburtstagsfeier abzuholen als ich bemerkte, dass das Ziehen im Bauch immer stärker und in kürzeren Abständen kam. Zuhause angekommen, versuchte ich es wegzuduschen, wegzumassieren, wegzuschlafen, aber es half alles nichts. Zwei Stunden später brachte mich meine Mutter ins Krankenhaus, knapp acht Wochen vor ET. Der kleine Mann ließ sich jedoch nicht aufhalten und kam zur Welt. Und dabei war ich doch noch gar nicht so weit. Ich hatte doch eigentlich noch Bedenkzeit, ich hatte noch gar keinen Namen und was mach ich denn jetzt eigentlich mit diesem Kind, über dessen Adoption ich noch vor ein paar Tagen mit dem Jugendamt gesprochen hatte?
„Ich liebte dieses kleine Menschlein von der ersten Sekunde an. Kopf gegen Herz.“
Weil der Kleine ein Frühchen war, wurde er direkt auf eine Frühchenstation gebracht, weg von mir und auch die nächsten Tage habe ich ihn kaum gesehen. Und trotzdem liebte ich dieses kleine Menschlein von der ersten Sekunde an. Und da war es nun das bekannte Dilemma: Kopf gegen Herz. Wie sollte ich für das kleine Wesen sorgen können? Ich war nicht vorbereitet, ging noch zur Schule und hatte gerade erst eine Psychotherapie wegen PTBS nach erfahrener sexualisierter Gewalt abgeschlossen. Was passiert, wenn ich in ein depressives Loch falle, was passiert, wenn ich mit der Angst, die mich verfolgt, nicht umgehen kann? Und so fiel die Entscheidung für die Adoption. Ich sprach mit dem Jugendamt und die zuständige Sachbearbeiterin klärte mich über das weitere Vorgehen auf. Ich entschied mich für eine offene Adoption, erzählte ihr, dass es mir wichtig sei, dass das Baby zu einer Familie komme, dass noch kein Kind habe und fuhr täglich zur Frühchenstation, um den Schwestern die abgepumpte Milch zu überreichen. Ich wollte nur das Beste für mein Kind, in jeder erdenklichen Weise. Und dann war es so weit, die Adoptionspapiere unterschrieben. Rechtlich gesehen war das der Moment, in dem mein Kind die volle Stellung eines ehelichen Kindes zu den Adoptiveltern auf allen Rechtsgebieten erlangte.
Und während es die eine Beziehung erlangte, erlöschte die verwandtschaftliche Beziehung zu mir. Auf dem Papier ein einfacher Prozess. In der realen Welt bleibt das biologische Band, die Erinnerung.
Adoption ist ein stigmatisierter Begriff. Der Gedanke ist meist, dass der Mutter das Kind von den Behörden weggenommen wurde, weil diese nicht in der Lage war ihren elterlichen Pflichten nachzukommen. Bei mir war das nicht so. Ich hatte selbst den Kontakt zum Jugendamt gesucht, weil ich das Beste für mein Kind wollte. Ich habe selbst diese Entscheidung getroffen.
Auf einmal stand ich da und war Mutter ohne Mutter zu sein.
Und dann begann der Spießrutenlauf. Jeder in meinem Umfeld konnte sehen, dass ich schwanger war, aber nicht jeder konnte sehen, dass das Kind nicht mehr bei mir war. Ständige Fragen nach dem Kind, die natürlich lieb gemeint waren, versetzten mir einen Stich, auch wenn ich nach außen stark blieb und die Lage erklärte. Darauf folgte unangenehmes Schweigen, bedauernde Blicke.
Adoption ist ein stigmatisierter Begriff. Der initiale Gedanke ist meist, dass der Mutter das Kind von den Behörden weggenommen wurde, weil diese nicht in der Lage war ihren elterlichen Pflichten nachzukommen. Bei mir war das nicht so. Ich hatte selbst den Kontakt zum Jugendamt gesucht, weil ich das Beste für mein Kind wollte. Ich habe selbst diese Entscheidung getroffen. Doch wenn ich mit Anderen darüber sprach, dass mein Kind nun von einer anderen Familie adoptiert wurde, wurde ich mit verachtenden Blicken beäugt, die mir klar machen sollten, was für eine Rabenmutter ich doch war, weil ich mein Kind „einfach“ weggegeben habe. Welch eine Ironie, wo ich diese Entscheidung doch nur getroffen hatte, um eben keine Rabenmutter zu sein.
Mein Sohn fragt mich: „Wenn ein Baby auf die Welt kommt, dann ist es ja bei seiner Mama und seinem Papa. Warum bin ich denn dann nicht bei dir?“
Wenn ich nach diesen Besuchen im Auto sitze, muss ich oft weinen.
Weil ich vor lauter Liebe für dieses Kind platze und meine damalige Entscheidung bereue.
Nach der Geburt, der Adoption und dem Abitur zog ich in eine neue Stadt. Neue Wohnung, neue Menschen, das Studium – ein kompletter Neuanfang. Hier weiß keiner, dass ich mal Mutter war und noch immer eine „Bauchmama“ bin. Keiner weiß von meiner inneren Zerrissenheit. Ich habe mich damals für eine offene Adoption entschieden, weil es mir wichtig war, dass mein Kind immer die Möglichkeit hat, seine Wurzeln zu erforschen und mich kennenzulernen. Ich wollte das Beste für mein Kind, ich wollte, dass es sich gut entwickelt, in einem sicheren Umfeld und ich wollte, dass es sich geliebt fühlt, von seinen Eltern, wie von seiner Bauchmama. Und deshalb sehen wir uns seit acht Jahren mehr oder weniger regelmäßig.
Meist fahre ich zu ihm und dann ist es, wie bei ganz normalen Familientreffen: Wir verbringen Zeit zu zweit, aber auch Zeit mit den Eltern und dem Geschwisterkind. Und jedes Mal ist es wunderschön und jedes Mal ist es zerreißend. Wir haben unendlich viele tolle Momente, in denen wir spielen, kuscheln, gemeinsam musizieren und uns unterhalten. Und mit kindlicher Leichtigkeit fragt mich mein Sohn dann: „Wenn ein Baby auf die Welt kommt, dann ist es ja bei seiner Mama und seinem Papa. Warum bin ich denn dann nicht bei dir?“ Wenn ich nach diesen Besuchen im Auto sitze, muss ich oft weinen. Weil ich vor lauter Liebe für dieses Kind platze und meine damalige Entscheidung bereue.
Die Entscheidung einer offene Adoption ist richtig: so kann ich als leibliche Mutter die vielen Fragen meines Sohnes beantworten
Und auch wenn ich an meiner damaligen Entscheidung für eine Adoption heute nichts mehr ändern kann, dann weiß ich doch, dass noch mehr solcher Fragen kommen werden, je älter er wird, aber diese Fragen zeigen mir jedes Mal, dass die Entscheidung für eine offene Adoption die richtige war. Ich will nicht, dass mein Sohn mit diesen Fragen allein ist oder die Antworten von anderen bekommt. Egal wie schwer es mir fällt, ihn zu sehen, ihn zu lieben und ihn dann zurückzulassen, ist das Wichtigste für mich für ihn und seine Fragen da zu sein, damit es ihm gut geht. Und bei all diesen gemischten Gefühlen überwiegt im Endeffekt doch immer das Glücklich sein: Das Glücklich sein darüber, dass es meinem Sohn gut geht, dass wir ein enges Verhältnis haben, dass ich eine wunderbare Familie für ihn gefunden habe und wir gemeinsam eine kunterbunte Familie ergeben.
Deshalb ist das, was ich mir von der Gesellschaft wünsche kein Mitleid oder mehr Unterstützung, sondern in erster Linie Offenheit und Akzeptanz für unterschiedliche Familienmodelle, bei denen das der offenen Adoption nur eins von vielen ist.
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Shany
So rührend. Ich finde die Frau ist einfach bewundernswert. So wie alle guten Mamas hat sie einfach ihre eigenen Bedürfnisse in den Hintergrund gestellt hat und das beste für das Kind gemacht ♥️
Linda
Liebe Karla,
Mutterliebe ist etwas, was man erst verstehen kann, wenn man selbst Mutter geworden ist.
Damals, mit 19, da hast du leider nicht die Unterstützung bekommen, die du gebraucht hättest. Vielleicht wäre dann alles anders gekommen. Vielleicht wärt ihr beide eine glückliche Familie geworden. Aber vielleicht wärst du auch maßlos überfordert gewesen. Leider kann man Zeit nicht zurückdrehen.
In meiner Schulzeit wurde in der 10. Klasse auch ein Mädchen schwanger. Mit 17 hat sie ihr Kind bekommen und behalten. Es war für sie sehr schwer. Die Eltern haben sich abgewendet und der Vater des Kindes war damals auch nur auf der Durchreise. Ich frage mich, wie es ihr ergangen ist. Der Kontakt ist abgebrochen…
Dir, liebe Karla, möchte ich sagen, dass du Größe gezeigt hast, als du dein Kind zur Adoption frei gegeben hast und ihn nun durch die offene Beziehung regelmäßig sehen kannst. Ich kann mir vorstellen, wie schwer das für dich sein muss. Andererseits hättest du bei einer geschlossenen Adoption keine Ahnung, wie es ihm geht und das stelle ich mir wesentlich schlimmer vor.
Ich hoffe für dich, dass ihr den Kontakt aufrecht erhalten könnt und dass dein Sohn dich versteht, warum er nicht bei dir sein kann.
Alles Gute
Linda
Brigitte
Liebe Karla, du hast echte Liebe bewiesen. Das ist nicht immer leicht. Ich finde es besonders schön das du Kontakt zu deinem Sohn hast obwohl es manchmal schmerzt. Er kennt es nicht anders als so und wird dadurch eine Offenheit entwickeln und es normal finden. Entscheidend ist das er Wissen darf das du ihn liebst und du weißt das du ihn lieben darfst. Ich wünsche dir weiter starke Entscheidungen Mut und Offenheit in deinem Leben. Das ist nicht immer leicht und stößt oft auf Unverständnis. Aber für einen selbst bedeutet es Freiheit.
Alles Liebe
Brigitte