Glückskekse aus Papier selber machen



Seit ein paar Tagen habe ich Kontakt zu einer jungen Chinesin . Eigentlich lebt sie in Deutschland, ist seit August letzten Jahres aber für einen längeren Besuch bei ihrer Familie in Tianjin.
In der 15-Millionen-Stadt wurden in der zweiten Januarwoche zwei Covid-Fälle gemeldet. China verfolgt eine Zero-Covid-Strategie und setzt drastische Maßnahmen um, sobald auch nur ein einziger Corona-Fall in einer Stadt auftritt.
Nach Auftauchen der Fälle in Tianjin reagierte die Regierung deswegen prompt und verkündete sofortige Massentests: Innerhalb von 48 Stunden sollten alle Bewohner:innen einen PCR-Test durchgeführt haben. Stadtteile, in denen Infizierte leben, befinden sich seitdem in einem Lockdown.
In diesem Interview beschreibt die junge Frau, die ihren Namen nicht nenne möchte, wie die aktuelle Lage vor Ort ist und ob sie die Covid-Strategie in Deutschland oder China besser findet.
Beschreibe einmal kurz, was passierte, als klar war, dass es einen Coronafall gibt?
Die ersten beiden positiven Fälle wurden im selben Distrikt (Jinnan) in Tianjin gefunden. Sofort danach wurde der gesamte Distrikt dichtgemacht. Zwar können Leute immer noch reinkommen, aber es darf niemand mehr raus. Alle Kontaktpersonen der beiden Fälle mussten sofort getestet werden und kamen in Quarantäne. Am Abend war klar, dass es in Jinnan 20 positive Fälle gab.
Am nächsten Morgen (9. Januar) mussten alle, die sich in Tianjin befanden, in den nächsten 48 Stunden PCR-testen lassen. (…) Der Distrikt in dem ich lebe, ist ein bisschen weiter weg von Jinnan, trotzdem muss jeder von uns mehrere PCR-Tests machen – aufgrund der hohen Einwohnerzahl (Tianjin hat ca. 15 Millionen Einwohner:innen) wurden Pooltests durchgeführt. In meinem Viertel wurden die Proben von 10 Menschen, in Vierteln, die näher an Jinnan liegen, wurden immer 5 Proben zusammengenommen usw. Insgesamt wurden innerhalb von zwei Tagen 12 Millionen Tests durchgeführt.
Für welche Teile der Stadt gilt der Lockdown?
Da es in meinem Distrikt keine positiven Fälle gab, steht der auch nicht unter Lockdown. Allerdings sind Schulen erstmal geschlossen.
Das betroffene Viertel wurde in drei Gebiete eingeteilt: In dem Gebiet C, welches am risikoärmsten ist, sind die Menschen angewiesen worden, möglichst wenig vor die Tür zu gehen und PCR-Tests zu machen. In dem Gebiet selbst dürfen sie sich dann bewegen, aber sollten es nicht verlassen. Im Gebiet B gilt ähnliches, allerdings sollten die Menschen komplett zu Hause bleiben. Pro Familie darf jeden zweiten Tag eine Person zum Einkaufen raus gehen. In Gebiet A dürfen die Menschen ihr Wohnungen nicht verlassen; Lebensmittel werden ihnen geliefert. Dort finden regelmäßige PCR-Tests statt.
Wie reagieren die Leute auf die Maßnahmen?
Am Anfang gab es ein paar Beschwerden, weil es so lange Schlangen bei den Testcentern gab. Aber mit den Maßnahmen an sich hat keiner Probleme. Wir wissen ja, dass das Leben dadurch schneller wieder normal wird.
Du beobachtest vielleicht auch die Demonstranten in Deutschland, die auf die Straße gehen und die Regierung als Diktatur bezeichnen. Was denkst Du darüber?
Wenn sich die Teilnehmer:innen an die Hygienemaßnahmen halten, finde ich es nicht allzu schlimm, solange sie nicht zu viele Ressourcen binden (Polizei etc.).
Auf Youtube habe ich aber ein paar Livebilder gesehen, wie die Menschen auf der Straße ohne Maske herumbrüllen. Ich glaube, dass sie ziemlich engstirnig sind und nicht an die Wissenschaft glauben.
Ich glaube, es ist ein gutes Zeichen, wenn eine hochentwickelte und zivilisierte Gesellschaft glaubt “Meinungsfreiheit” ist wichtig. Aber unter der Voraussetzung, dass wissenschaftliche Fakten und die Wahrheit respektiert werden. Es gibt so viele wissenschaftliche Erkenntnisse, die zeigen, wie Covid sich ausbreitet, und was jeder tun kann, um die Verbreitung zu verlangsamen, dass Impfen hilft etc. (…).
Ich finde die deutsche Regierung hat eine gute Balance gefunden zwischen der Bekämpfung des Viruses und der Wirtschaft. (…) Wenn die Demonstranten meinen, diese Balance bedroht deren Freiheit, scheinen sie nicht zu wissen, welche Freiheit sie haben können, wenn Covid besiegt ist. Ich finde, sie sind engstirnig und denken zu kurzfristig.
Sollten die Deutschen Deiner Meinung nach zum Wohle der Allgemeinheit mehr Restriktionen akzeptieren?
Definitiv! Wie schon gesagt, die Leute sollten helfen, das Virus zu besiegen, anstatt der Regierung Ärger zu machen.
Welche Methode in der Coronakrise macht denn Deiner Meinung nach mehr Sinn: die der chinesischen (zero-covid-Strategie) oder die deutsche?
Da ich kein Covid bekommen will: Mit der chinesischen fühle ich mich viel sicherer.
Wenn Du Dir die explodierenden Covid-Zahlen in Deutschland anguckst, hast Du Angst nach Deutschland zurückzukommen?
Ja, ziemlich. Ich werde ganz bald wieder zurückzukommen. Ich plane meine Boosterimpfung erst zu bekommen, nachdem ich wieder in Deutschland gelandet bin. Deshalb habe ich schon ein bisschen Angst davor, z.b. bei der Passkontrolle am Flughafen die Maske abzunehmen. Ich hoffe sehr, dass ich mich nicht infiziere, bis ich die dritte Impfung bekommen habe. Danach ist hoffentlich alles okay. Schließlich habe ich die Pandemie in Deutschland bisher ja auch überlebt.
Azurblaues Wasser, dichte Tropenwälder, verschlungene Bergketten, fast schon malerische Teefelder – Taiwan ist ein Land der absoluten Vielfalt. Der Inselstaat im südchinesischen Meer ist hochtechnologisiert und progressiv. So legalisierte er beispielsweise 2019 als erster asiatischer Staat die gleichgeschlechtliche Ehe.
Der Inselstaat ist eigentlich kein legitimer Staat – zumindest nicht, wenn es nach der Volksrepublik China geht. Für das Reich der Mitte gehört die Republik China, wie Taiwan offiziell heißt, untrennbar zur Volksrepublik. Die kommunistische Führung in Peking betrachtet Taiwan als abtrünnige Provinz. Der chinesische Präsident Xi Jinping forderte zuletzt im Oktober letzten Jahres eine “Wiedervereinigung” der Insel mit dem chinesischen Festland – gemäß seiner strikt verfolgten “Ein-China-Politik”. Er strebe eine “friedliche” Zusammenführung an.
In den letzten Monaten hat Xi immer wieder Militärflugzeuge in Taiwans Luftüberwachungszone eindringen lassen. Damit demonstriert er nicht nur unerlässlich seinen Machtanspruch, sondern versetzt auch die taiwanische Luftabwehr in ständige Alarmbereitschaft.
Warum stehen die Volksrepublik China und Taiwan im Konflikt?
Der Ursprung dieses sogenannten Taiwan-Konflikts reicht mehr als 70 Jahre zurück. Nach der Kapitulation Japans im zweiten Weltkrieg fällt die Insel Taiwan, vorher in japanischer Hand, an die Republik China – die sich kurz darauf in einem Bürgerkrieg mit den Kommunisten unter Mao Zedong befindet. Aus den Bürgerkriegskämpfen entsteht die Volksbefreiungsarmee – die auch heute noch die Streitkräfte der Volksrepublik China stellen – und nimmt nach und nach das ganze chinesische Festland ein. Die politische Führung der Republik China zieht sich mit über zwei Millionen Menschen nach Taiwan zurück.
Nachdem Mao Zedong am 1. Oktober 1949 offiziell die Volksrepublik China ausgerufen hatte, erkennen immer mehr Staaten die Volksrepublik an – als erster westlicher Staat Großbritannien Anfang 1950.
Bis in die 70er Jahre hinein galt die Republik China, also Taiwan, als legitimer Vertreter Chinas. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen stimmte 1971 jedoch einer Resolution zu, die diese Position der Volksrepublik China übertrug – die Republik China musste daraufhin die Vereinten Nationen mitsamt allen Unterorganisationen verlassen.
Infolgedessen brachen immer mehr Länder ihre diplomatischen Beziehung zu Taiwan ab – oder nahmen sie gar nicht erst auf. Heute erkennen nur noch eine handvoll Staaten, darunter der Vatikan, die Insel als souveränen Staat an.
Warum erkennen nur wenige Länder Taiwan als Staat an?
Die chinesische Regierung übt massiven Druck auf andere Länder aus, das demokratische Taiwan politisch und diplomatisch weitestgehend zu isolieren. Für die meisten Länder sind die politischen Beziehungen zu China zu wichtig, China als Wirtschaftspartner zu bedeutend für die eigenen Volkswirtschaften.
Was passiert, wenn sich andere Länder Taiwan annähern, zeigt das Beispiel Litauen: Der kleine baltische Staat hatte Taiwan im Sommer letzten Jahres erlaubt, eine diplomatische Vertretung unter eigenem Namen zu eröffnen – ein Novum für ein EU-Land. Im Vergleich: In Deutschland gibt es zwar auch eine Vertretung, die aber mit Rücksicht auf die Ein-China-Politik Taipei-Vertretungsbüro genannt wird – den offiziellen Namen Taiwan also nicht in der Firmierung trägt. Umgekehrt ist die deutsche Vertretung in der taiwanischen Hauptstadt Taipei keine Botschaft, sondern wird als “Deutsches Institut Taipei” bezeichnet. So gehen viele Länder vor.
Schon im Sommer hatte China seinen Botschafter aus Litauen abgezogen und das Land aufgefordert, es ebenso mit dem litauischen Vertreter in Peking zu tun. Außerdem verhängte China Wirtschaftssanktionen, boykottierte den Warenverkehr.
Als Taiwan schließlich im November seine Botschaft in der litauischen Hauptstadt Vilnius eröffnete, reagierte Peking ungleich härter. In einer Erklärung des Außenministeriums hieß es, dass die Eröffnung einer offiziellen Auslandsvertretung Taiwans ein „äußerst ungeheuerlicher Akt“ sei und Litauen diese “falsche Entscheidung umgehend korrigieren” solle. Der Handel mit dem baltischen Staat wurde komplett gestoppt und die diplomatischen Beziehungen so weit heruntergefahren, dass die litauischen Vertreter:innen Peking im Dezember verließen und den Botschaftsbetrieb vorübergehend aus der Ferne aufrecht erhalten mussten, wie das Land mitteilte.
Und die Volksrepublik geht noch weiter: Sie übt Druck auf europäische Konzerne aus, die Zusammenarbeit mit litauischen Unternehmen zu beenden, wenn sie weiter nach China liefern wollen. So auch auf den deutschen Reifenhersteller Continental: Laut Reuters soll er von China aufgefordert worden sein, keine in Litauen hergestellten Bauteile mehr zu verwenden.
Die EU-Außenminister diskutierten die Sanktionen Chinas gegenüber Litauen bei ihrem jüngsten Treffen als “Angriff auf den europäischen Binnenmarkt”. Die EU will künftig geschlossen vorgehen, wenn ein MItgliedstaat derart sanktioniert wird – und kollektive Strafen verhängen. Ein entsprechender Gesetzesvorschlag liegt bereits in Brüssel vor. Sollte er verabschiedet werden, betritt die EU außenpolitisches Neuland. Bislang ist der Konsens der 27 Mitgliedsstaaten bei Verhandlungen über Wirtschaftssanktionen notwendig.
„Wenn Europa einen gemeinsamen Kurs fährt und geschlossen auftritt, ist es ein Schwergewicht – agiert es dagegen gespalten, kämpft es unter seiner Gewichtsklasse,” kommentiert die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock die Entwicklungen.
Der Konflikt wird immer greifbarer – wie gefährlich ist er?
Die zunehmenden militärischen Drohgebärden Chinas gegenüber Taiwan und eine fortschreitende Aufrüstung im Reich der Mitte veranlassten Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen zuletzt dazu, die Volksrepublik vor militärischen Aktionen gegen Taiwan zu warnen. Die taiwanische Armee simulierte bereits Angriffe der chinesischen Streitkräfte.
Der Konflikt beschäftigt auch die USA: Außenminister Antony Blinken hatte im November erklärt, dass die Vereinigten Staaten im Falle eines Angriffes auf Taiwan “handeln” würden. Die Antwort aus China folgte prompt: Die USA sollten keine “falschen Signale” an Taiwan senden.
Die USA verfolgen seit Jahrzehnten eine Politik der strategischen Zweideutigkeit gegenüber Taiwan: Sie lassen auf der einen Seite bewusst offen, ob sie im Falle eine Krieges an der Seite Taiwans stehen. Auf der anderen Seite verpflichten sie sich laut dem Taiwan Relations Act von 1979, der zur Stabilisierung der Region im Westpazifik verabschiedet wurde, Taiwan Rüstungsgüter zur Selbstverteidigung zur Verfügung zu stellen.
Globale Habachtstellung
Die Lage ist brisant und ein Drahtseilakt für alle Akteure. Einerseits wollen vor allem die westlichen Staaten dem Reich der Mitte nicht auf die Füße treten, um von dem für sie wirtschaftlich so wichtigen Land nicht sanktioniert zu werden. Andererseits hat auch Taiwan als weltweit größter Hersteller von Halbleitern eine große wirtschaftliche Bedeutung für die meisten Industrienationen. Ein militärischer Konflikt zwischen der Volksrepublik China und Taiwan hätte massive Konsequenzen für die Weltwirtschaft.
Als ich 17 Jahre alt war, starb ein mir sehr nahestehender Mensch. Für mich gibt es seither ein Leben vor diesem Ereignis – und ein Leben danach. Die Wochen, die Monate danach, waren geprägt von tiefer, schmerzvoller Trauer, Verzweiflung, Wut.
Wer sich mit dem Tod auseinandersetzt, kommt nicht darum herum, über das Leben nachzudenken. Ich ging durch ein tiefes Tal auf der Suche nach dem Sinn, nach meinem Sinn im Leben.
Während andere in meinem Alter häufig nur bis zur nächsten Party am Wochenende denken mussten, zwang mich mein Schicksalsschlag dazu, auf elementarste Fragen wie: “Wie möchte ich mein Leben gelebt haben?” “ Was kann ich tun, damit ich mein Leben nicht verplempert habe? “ meine persönlichen Antworten zu finden.
Zu dem Zeitpunkt war ich oft wütend, dass solche Fragen in meinem Kopf kreisten – und nicht so herrlich banale und wunderschöne, die die meisten 17-Jährigen beschäftigen.
Heute bin ich dankbar dafür. Natürlich nicht dafür, einen geliebten Menschen zu verlieren – sondern dafür, dass ich schon ziemlich früh wusste: das Leben ist endlich. Mir war auf grausame Weise klar geworden, dass morgen nichts mehr so sein muss wie es heute ist.
Ich wusste dadurch, was ich wollte, was mir in meinem Leben wichtig ist.
Ich wollte ehrlich und echt lieben; einen Beruf finden, der mich wirklich erfüllt; ich erkannte, dass es meist hinderlich ist, Dinge zu zerdenken oder auf die lange Bank zu schieben, dass man sie stattdessen einfach machen sollte.
Situationen, die mich unglücklich machten, änderte ich. Blieb neugierig, offen für Möglichkeiten und neue Menschen. Wollte immer wieder Neues ausprobieren.
Im November: die Erkenntnis
Im grauen November 2021 stellte ich meinen Leser:innen auf Instagram die Frage, wann sie zum letzten Mal etwas zum ersten Mal gemacht haben – und dachte selbst über diese Frage nach. Je länger ich nachdachte, desto mehr Panik kroch in mir hoch. Ich realisierte, dass ich scheinbar schon ziemlich lange nicht mehr etwas zum ersten Mal in meinem Leben gemacht hatte. Natürlich ist mir bewusst, dass man irgendwann im Leben an einem Punkt kommt, an dem man eben auch schon vieles ausprobiert und erlebt hat, in dem man eher gesettled ist (Hallo, ich hab’ drei kleine Kinder) – und, ach ja… da war ja noch die Tatsache, dass das Leben während einer Pandemie nicht gerade nach Abenteuern schreit.
Doch es muss ja auch nicht jedes Mal ein krasses Erlebnis wie ein Bungee Sprung sein (übrigens: dieses erste Mal wird es in meinem Leben nie geben) – es reichen erstmal auch kleine Dinge. Vor allem die, bei denen man sagt: irgendwann möchte ich mal … z.b. einen Malkurs machen – aber es dann doch nicht tut.
Plötzlich passiert etwas zum ersten Mal
Doch bei mir ist diese Zeit jetzt. Deshalb habe ich 2022 zu meinem “Year of Firsts” ernannt.
Ich möchte wieder bewusster, wieder häufiger so leben, wie ich es mir vor vielen Jahren vorgenommen habe: die Zeit, die ich hier auf dieser verrückten und magischen Welt verbringe, vollpacke, bewusst lebe. Mit echten Erinnerungen, neuen Eindrücken und Momenten, an die ich noch Jahre zurückdenke.
Vor drei Wochen hat mein “Year of First” begonnen. Ich habe bereits schon jetzt Dinge getan, die ich schon immer mal machen wollte – und interessanter Weise gehe ich auch sonst bewusster durch meinen Alltag.
Plötzlich, aus dem Nichts passiert etwas zum ersten Mal. Hätte ich mir nicht vorgenommen, ein “Year of First” zu erleben, der Moment wäre einfach so verstrichen.
Für mich ist das wohl die schönste Erkenntnis in diesem Monat: unser Leben steckt voller erster Male – egal wie alt wir sind. Sie werden manchmal nur leiser oder feiner. Doch wenn wir sie bewusst (er)- leben, erkennen wir sie auch.
Probier’ es doch mal aus.
„Erst jetzt weiß ich, in welchem Maß Ekel empfindbar sein kann“, schildert eine Frau auf einer Internetseite. „Ich zitterte am ganzen Körper. Ich hatte tagelang Schlafstörungen. Ich hatte wochenlang Angst“, schreibt eine andere Frau. Auf einer eigens eingerichteten Internetseite tauschen sich mehr als 50 Frauen über ihre Gedanken und Gefühle aus. Sie alle hat dasselbe Schicksal ereilt: Durch einen Hinweis eines Dritten erfuhren sie im November 2020, dass mehrere Fotos von ihnen auf der Pornoseite xHamster zu finden sind.
Ein Großteil der Bilder hatte der Täter aus sozialen Netzwerken heruntergeladen und unter seinem Profil bei xHamster hochgeladen. Darunter sind Fotomontagen bei denen Gesichter von Betroffenen auf die Körper von Pornodarstellerinnen geschnitten wurden. Es gibt aber auch zahlreiche Aufnahmen, die die Frauen selbst nie veröffentlicht oder geteilt hatten. Es sind intime Fotos, nackt und schlafend, die der Täter offensichtlich selbst gemacht hat. Willkürliche Selfies, Bikini-, Sex- oder Nacktfotos, manchmal sogar betitelt mit persönlichen Daten wie Alter und Beruf. Einige Aufnahmen wurden bereits vor über 17 Jahren gemacht; daran können die Frauen sich erinnern, weil sie damals selbst vor der Kamera standen. Die Frauen erleiden durch diese fremdbestimmte öffentliche Zurschaustellung und Entblößung schwere psychische Schäden. Sie erleben, wie eine vermeintlich vertraute Person sich gegen ihren Willen an ihrer Würde vergreift. Sie sind virtuell dem Sexualtrieb einer unbestimmten Zahl von fremden Personen ausgeliefert.
Mit der Veröffentlichung der Fotos hört es nicht auf. Denn in den Kommentaren lassen sich User herablassend und übergriffig aus. Abstoßende Fantasien werden ausgetauscht: eine „perverse und übergriffige Sumpfwelt des Pornouniversum“, so beschreibt es ein Opfer. „Was alles im gesetzlichen Rahmen nahezu konsequenzlos möglich ist“, lasse sie ohnmächtig fühlen.
Die Frauen sind Opfer von „non-consensual-porn“ (Pornografie ohne Einverständnis). Hierbei handelt es sich um eine Straftat nach § 201a Abs. 2 StGB: „Ebenso wird bestraft, wer unbefugt von einer anderen Person eine Bildaufnahme, die geeignet ist, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden, einer dritten Person zugänglich macht. Dies gilt unter den gleichen Voraussetzungen auch für eine Bildaufnahme von einer verstorbenen Person.“
Geführt wird der Tatbestand als Privatklagedelikt. Das bedeutet, dass die Staatsanwaltschaft nur einschreitet und ermittelt, wenn ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht. Ein öffentliches Interesse wird nur dann angenommen, wenn die Strafverfolgung ein gegenwärtiges Anliegen der Allgemeinheit ist. Maßgebende Kriterien dafür sind das Ausmaß der Rechtsverletzung, die Gefährlichkeit der Tat und sonstige menschenverachtende Beweggründe des Täters.
Im Fall aus Leipzig haben alle 50 Frauen Anzeige bei der Polizei erstattet. Doch auf sichtbare Reaktionen der Polizeibehörde warteten sie eigenen Angaben nach vergebens. Währenddessen erstellte der Täter weitere Alben auf der Pornoseite. Von einer Meldung bei xHamster bzgl. der unbefugten Nutzung der Bilder verzichteten die Frauen zunächst aus taktischen Gründen. Auch in ihrem privaten Umfeld bewahrten sie Stillschweigen, damit der Täter nichts erfährt und sein Profil samt aller Bilder löscht. Denn dann gibt es keine Beweise mehr für das strafwürdige Verhalten. Dies hätte zur Folge, dass es keine weitere Strafverfolgung gäbe.
Monate später, nachdem die Frauen den zuständigen Polizeibeamten mehrfach kontaktierten, wurde die Leipziger Polizei tätig und eröffnete das Ermittlungsverfahren. Schließlich wurde eine Hausdurchsuchung durchgeführt und Datenträger beschlagnahmt. Von 50 bekannten, betroffenen Frauen, die auch alle Anzeige erstattet hatten, wurde nur eine als Zeugin vorgeladen. „Sie machen uns ganz schon viel Arbeit mit ihrer Anzeige“, wird sie von der Staatsanwaltschaft empfangen, „Schauen Sie doch nochmal, ob Sie die Bilder nicht doch irgendwo selbst hochgeladen haben!“ (Öffnet in neuem Fenster). Sowohl Polizei, als auch Staatsanwaltschaft zeigten sich wohl wenig fachlich und psychologisch geschult. Dennoch gibt das laufende Ermittlungsverfahren einen kleinen Hoffnungsschimmer, dass der Täter zur Verantwortung gezogen wird. Im Fall einer Verurteilung könnten ihm Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder eine Geldstrafe drohen.
Das jüngste Urteil (Öffnet in neuem Fenster) des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Cybergewalt gibt hoffentlich zusätzlichen Rückenwind Täter von „non-consensual-porn“ zur Verantwortung zu ziehen. Das oberste europäische Gericht für Menschenrechte verpflichtet die Mitgliedstaaten, zur wirksamen Sicherstellung des Schutzes des Rechts auf Achtung des Privatlebens. Behörden müssen bei angezeigten Fällen von Cybergewalt zügig und effektiv Ermittlungen durchführen, um Täter zur Rechenschaft zu ziehen und die Wiederholung derartiger Handlungen zu verhindern.
Mit diesen deutlichen gerichtlichen Worten werden Polizei- und Ermittlungsbehörden zukünftig in derart gelagerten Fällen um so mehr verpflichtet sein das geltende Recht vollumfänglich anzuwenden und Betroffenen somit hoffentlich die Chance auf einen zügigen und sauberen Prozess ermöglichen.
Und was kann ich tun?
Zum Beispiel diese Petition unterschreiben:
Missbrauch auf Pornos Plattformen muss verfolgt werdenhttps://www.change.org/p/notyourporn-missbrauch-auf-porno-plattformen-muss-verfolgt-werden-bmjv-bund-lambrecht?redirect=false (Öffnet in neuem Fenster)
Du brauchst Hilfe?
Hier geht es zu Beratungsstellen gegen Hass im Netz:
https://hateaid.org/ (Öffnet in neuem Fenster)
https://weisser-ring.de/ (Öffnet in neuem Fenster)
Die Euphorie für Kamala Harris war nicht nur bei den demokratischen Wähler:innen zu spüren. Auch hier in Deutschland zierte die erste Frau und erste Person of Color, die das Amt der US-Vizepräsidentin bekleiden sollte, zahlreiche Cover nationaler und internationaler Magazine.
Kamala Harris sei der Beweis für Wandel und Fortschritt, formulierte der frisch gewählte US-Präsident Joe Biden. Ein Vorbild für Millionen Frauen und Mädchen.
So große Erwartungen, so hochfliegende Hoffnungen wurden in die heute 57-Jährige gesetzt.
Viele von uns hofften, nach den düsteren und schrillen Trump-Jahren nun endlich wieder ein liebenswertes und mitreißendes Amerika zu sehen: Aufbruchstimmung, Change! Wie damals, unter Barack Obama, dem ersten Schwarzen US-Präsidenten. Wishful thinking – Wunschdenken.
Sogar als künftige Präsidentschaftskandidatin wurde Harris gehandelt – denn man war sich fast sicher, dass Biden (79 Jahre) 2024 nicht noch mal für eine zweite Amtszeit kandidieren würde.
Absturz statt Aufbruchstimmung
Und nun, ein Jahr danach?
Statt Euphorie empfinden die meisten Amerikanerin:innen vor allem Ernüchterung. Die spiegelt sich auch in den Umfragewerten für Kamala Harris wider: Mehr als die Hälfte der Befragten ist mit ihrer Arbeit unzufrieden.
Zugegeben: das Amt der Nummer Zwei des Landes ist ein wahrlich undankbares.
Der erste Vizepräsident der US-Geschichte, John Adams, sagte einmal, dieses Amt sei das unbedeutendste, das der Mensch je erfunden habe.
Oder erinnerst Du Dich noch an glanzvolle Taten des Mannes, der über acht Jahre Obamas Vize war – genau – Joe Biden?
Wer dieses Amt bekleidet, ist natürlich nah an der Macht, schließlich würde Harris automatisch US-Präsidentin werden, sollte der Präsident das Zeitliche segnen, zudem ist sie Vorsitzende des US-Senats (und hat dort wegen des derzeitigen Patts zwischen Republikanern und Demokraten bei Abstimmungen sogar die entscheidende Stichstimme).
Gleichzeitig hat sie in ihrer Funktion als Vizepräsidentin so gut wie keine Macht: der Präsident bleibt der Entscheidungsträger; anders als der Vizekanzler in Deutschland, leitet die Vizepräsidentin in den USA kein Ministerium.
Schwierige Themen: Illegale Einwanderung und Wahlrechtsreform
Als zentrale Aufgaben hatte Joe Biden Kamala Harris die Konfliktfelder “illegale Einwanderung” und “Wahlrechtsreform” (soll vor allem das Wahlrecht von Minderheiten schützen) übertragen.
Zwei Themen, an denen sich seit Jahren sowohl Demokraten als auch Republikaner die Zähne ausbeißen und bei denen auch Harris in ihrem ersten Jahr keine nennenswerten Erfolge verbuchen konnte.
Im Gegenteil. Viele der demokratischen Wähler:innen hatten nach Trumps restriktiver und herzloser Einwanderungspolitik gehofft, Harris würde eine humanere Politik durchsetzen – doch auch sie konnte die Gesetze nicht entscheidend verändern. Und das liberale Amerika zeigte sich erschüttert, als Bilder von berittenen Grenzbeamten auftauchten, die auf wehrlose Migranten einprügelten – um sie gewaltsam auf die mexikanische Seite der Grenze zurückzudrängen.
Bei einem Besuch in Mexiko und Guatemala (aus diesen beiden Ländern versuchen besonders viele Menschen in die USA zu kommen) sagte Harris: “Bitte kommt nicht. Bitte kommt nicht!”.
Für diesen herzlos wirkenden Satz, der an mögliche Migranten gerichtet war, erntete sie auch aus den eigenen Reihen massive Kritik.
Auch bei der Wahlrechtsreform scheiterte sie – wie so viele vor ihr. Die geplante Reform sollte verhindern, dass das Wählen für Minderheiten massiv erschwert wird – denn genau das wird in etlichen von den Republikanern regierten US-Bundesstaaten gerade betrieben. Die Republikaner sorgten dann auch dafür, dass die Gesetzesreform vom Senat abgelehnt wurde. Die entscheidende Stimme kam dabei ausgerechnet von einem Demokraten: Joe Manchin. Der 74-Jährige vertritt seit 2010 West Virginia im US-Senat. Da die Demokraten in dieser Parlamentskammer nur dank der Senatsvorsitzenden Kamala Harris eine Mehrheit von einer Stimme haben, reicht ein einziger demokratischer Abweichler, um ein Gesetzesvorhaben scheitern zu lassen. Gleich im ersten Amtsjahr bescherte Manchin dem neuen Führungsduo im Weißen Haus, Biden und Harris, also eine äußerst schmerzhafte politische Niederlage.
Fehlende Führungsqualitäten
Darüber hinaus gab es Medienberichte, z.B. von der “Washington Post”, die Kamala Harris mangelnde Professionalität vorwarfen. Ihr Büro sei chaotisch gemanagt, sie sei in Briefings oft unvorbereitet, behandle ihren Stab rüde und respektlos. Enge Mitarbeiter:innen haben zum Ende vergangenen Jahres aus Frust gekündigt.
Angesprochen auf die vielen Negativschlagzeilen erklärte Jen Psaki, Pressesprecherin des Weißen Hauses, sie rührten auch daher, dass Harris eine Frau sei und einer Minderheit angehöre. Dieser Vorwurf lässt sich nicht eindeutig belegen. Aber Fakt ist: als erste Frau im Vizepräsidenten-Amt wird Kamala Harris aufmerksamer und kritischer beobachtet als alle ihre männlichen Vorgänger….
Nach der Wahl ist vor der Wahl
Wo ist Kamala Harris? Das habt nicht nur Ihr mich gefragt, das fragten sich auch viele Amerikaner:innen im ersten Jahr ihrer Vizepräsidentschaft.
Angesichts des beschränkten Einflusses als Vizepräsidentin wird es schwer für sie sein, an Profil zu gewinnen.
Bei Bidens jüngsten öffentlichen Auftritten war auffällig, dass Harris nicht nur demonstrativ hinter ihm stand, sondern nach seinen Reden selbst das Wort ergriff. Die 57-Jährige soll im kommenden Wahlkampf offenbar eine prominenter Rolle einnehmen.
Denn schon im Herbst finden die wichtigen Kongresswahlen statt. Die sog. Midterms gelten als Zwischenzeugnis für die amtierende Regierung. Angesichts der schlechten Zustimmungswerte für Biden und Harris zittern die Demokrat:innen, ob sie die hauchdünnen Mehrheiten im Kongress verteidigen können. Verlieren sie diese an die Republikaner:innen, wird es für die aktuelle Regierung nahezu unmöglich, noch irgendwelche politische Vorhaben durchzusetzen.