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Monat: Dezember 2020

„Wenn die Geschäftsführung eines Krankenhauses nur Zahlen und keine PatientInnen sieht“

„Ich bin am Ende meines 3. Ausbildungsjahres als Assistenzärztin in der Orthopädie und Unfallchirurgie. Damit ich nach sechs Jahren meinen Facharzt machen darf, brauche ich unter anderem ein halbes Jahr Erfahrung auf einer Intensivstation. Die habe ich bereits gesammelt. 

In unserer Klinik, und auch in meiner Abteilung, war die personelle Lage bereits vor der Pandemie angespannt. Sobald eine KollegIn aufgrund von z.B. Krankheit ausfällt, heißt das oft für andere, an (den wenigen) freien Wochenenden einzuspringen oder mehr 24-Stunden-Dienste auf sich zu nehmen als tariflich vereinbart.

Seit diesem Jahr hat sich die Situation in unserem Krankenhaus sogar zugespitzt. Im März infizierte sich eine Kollegin mit Covid-19. Sie fiel 4 Wochen lang aus. Das hieß für alle anderen: arbeiten, arbeiten, arbeiten. Ich habe zusätzliche Dienste an Karfreitag, Ostersonntag und Ostermontag übernommen. Ich habe an den vier Tagen (die ich frei haben sollte) über 50 Stunden gearbeitet. Privatleben bleibt in solchen Zeiten auf der Strecke.

Jetzt, 8 Monate später hat sich die Lage zum Frühjahr noch einmal verschlimmert. Ganze Stationen wurden geräumt – um Platz zu machen für Corona-Patienten. Die Corona-Intensivstation ist bis fast auf den letzten Bettplatz belegt.
Und trotzdem: alle Operationen in unserer Abteilung laufen weiter. Unsere Patienten haben zum Beispiel seit mehreren Jahren Knie- oder Hüftschmerzen und bekommen jetzt eine Prothese eingesetzt. Jetzt. Warum ausgerechnet jetzt? Diese Patienten liegen mindestens eine Woche in unserem Krankenhaus. Eine Woche, in der sie sich anstecken könnten. Eine Woche, in der sich Ärzte und besonders Pflegekräfte zusätzlich um diesen Patienten kümmern müssen. Und: eine Woche, in der solch ein Patient womöglich noch ein Bett für einen Corona-Patienten blockiert.

Vor etwa 2 Monaten bekamen wir eine Nachricht der Geschäftsführung, dass alle Ärzte meiner Abteilung mit Intensiv-Erfahrung zusätzliche Dienste auf Intensiv-Station machen müssen. Was bedeutet das also?

Das bedeutet, dass ich – die sich eigentlich hauptsächlich mit unfallchirurgischen Problem und Patienten auskennt und ein halbes Jahr Berufserfahrung auf Intensivstation hat, sich nun um hochkomplexe Patienten, die an Covid-19 erkrankt sind, kümmern muss. Diese Patienten haben hauptsächlich Probleme mit der Lunge, mit dem Herzen, mit der Niere.
Niemand hat ein gebrochenes Bein oder eine ausgekugelte Schulter. 

„Ich fühle mich in solchen Situation überfordert, allein gelassen und mittlerweile auch ausgebrannt.“

Und das bedeutet auch, dass ich zu meinen fünf 24-Stunden-Diensten in der Unfallchirurgie noch zusätzliche 12-Stunden Schichten (die eigentlich immer 13 bis 14 Stunden werden) auf Corona-Intensivstation übernehmen muss.

Tagsüber ist ein erfahrener Arzt dabei, den ich ab und an bei Unklarheiten fragen kann. Aber nur, wenn er nicht gerade mit anderen Patienten beschäftigt ist. Nachts bin ich die einzige Ärztin. Das wird damit gerechtfertigt, dass ich jederzeit einen Facharzt zuhause anrufen könnte. Aber sind wir mal ehrlich: Wieviel bringt das, wenn es einen Notfall gibt, wenn ich schnell handeln muss, wenn der Arzt zuhause die Patienten nicht kennt oder wenn ich von oben bis unten in Schutzkleidung beim Patienten bin und gar nicht in der Lage bin zu telefonieren? 

Ich fühle mich in solchen Situation überfordert, allein gelassen und mittlerweile auch ausgebrannt. Ich bin sauer und wütend, wenn ich höre, dass Firmen ihren Mitarbeitern, die keinen Kontakt mit Corona-Infizierten haben, einen Corona-Bonus auszahlen. Wir, die Pflegekräfte und ÄrztInnen sind an unserem psychischen und physischen Limit, wir setzen uns täglich der Gefahr aus, uns zu infizieren. Ostern und Weihnachten werden viele von uns verpassen, wir geben unser Privatleben faktisch auf. Applaus gibts dafür – aber keine finanzielle Anerkennung.

Und trotz all dem machen wir weiter. Denn: wer soll es sonst machen?
Wenn es nicht genügend medizinisches Personal gibt, weil heutzutage in einem Krankenhaus eben die Geschäftsführung nicht mehr durch eine*n Arzt/Ärzt*in, sondern durch einen BWLer besetzt wird.
Der/die sieht Zahlen, keine Patient*innen. 

Die Patient*innen müssen versorgt werden. Und wenn es niemand anderen gibt, der das machen könnte, außer mir, dann mache ich es eben. Ich wünschte allen Corona-Patienten, dass sie von einem fertig ausgebildet Facharzt betreut werden.
Und nicht von einem Assistenzärztin in Ausbildung, die erst ein halbes Jahr Erfahrung auf einer Intensivstation gesammelt hat und zwar zu der Zeit als noch nie jemand etwas von Covid-19 gehört hatte.“

„Mit 23 Jahren war ich eigentlich nicht bereit, spürte aber den Druck und hatte Angst meinen Vater im Himmel zu enttäuschen.“

„Seit ich denken konnte war es der Wunsch meines Vaters die Kinder-, und Jugendhilfeeinrichtung zu übernehmen, die er sich aus dem Nichts aufgebaut hatte. Ich hatte mich immer mit Händen und Füßen gewehrt. Obwohl es ein gemachtes Nest war, wollte ich nichts mit diesem Beruf zutun haben, denn der Preis war hoch: Tags und nachts abrufbereit sein, gewalttätige Kinder, die das Inventar zerlegen und dich anschauen als hättest du das größte Strafdelikt begangen… dabei möchtest du nur helfen, sie auf den richtigen Weg zu leiten. Das war mir zu viel. Ich schlug eine andere Richtung ein, heiratete mit 19 einen Amerikaner, zog nach Texas und machte es unmissverständlich klar, dass sein Wunsch nicht in Erfüllung gehen wird. Bis mein Vater an unheilbaren Krebs erkrankte während ich in den USA lebte.

Mit 23 Jahren plötzlich Firmeninhaberin


Meine Mutter leitete von nun an die Firma, auch nach seinem Tod. Dabei wollte sie sich weder helfen lassen, noch wollte sie Veränderungen schaffen. Für Finanzen war die Buchhalterin zuständig und es wurde jeden und den ganzen Tag entspannt auf der Veranda verbracht. Die Krankheit meines Vaters hatte tiefe Furchen in ihrem Gesicht hinterlassen. Gepaart mit ihrem Alter, einem ungesunden Lebensstil und Alkoholabhängigkeit war sie nicht geeignet für eine Führungsposition. Sie bat mir an, eine GmbH zu gründen und die Firma weiterzuführen: Ich als Inhaber, sie als Geschäftsführer. Mit 23 Jahren war ich eigentlich nicht bereit, spürte aber den Druck und hatte Angst meinen Vater im Himmel zu enttäuschen.

So flog ich nach Deutschland. Wir machten uns auf den Weg in die Innenstadt von Berlin zum Notar. Nach einer halben Stunde, vier Unterschriften und einer Gebühr hielt ich plötzlich eine große Verantwortung in den Händen. Ich hatte keine Ahnung, dass meine Mutter mich lachend ins Verderben laufen ließ. Auf dem Weg zum Auto hatte ich noch einen Witz gemacht, dass ich sie nun feuern könnte. Sie hatte einen drohenden Unterton, als sie mir sagte, dass ich das gefälligst schnell aus meinen Gedanken löschen solle. Mir lief es eiskalt den Rücken herunter. Ich war gerade frisch geschieden und dabei mir alles neu aufzubauen nach vorheriger Abhängigkeit von meinem Ex-Mann. Die Übernahme der Firma schien als würde es Sinn machen: Ein Neustart für mich, eine Entlastung für meine Mutter. Doch mit Einblick in die Interna realisierte ich: die Firma stand kurz vor dem Untergang:
Meine Mutter hatte eine chronische Kaufsucht und lebte einen luxuriösen Lebensstil, der zu viel und unwirtschaftlich für das kleine Unternehmen war. Statt zu sparen wurde gekauft. Es brach ein Konflikt aus zwischen Respekt, Hierarchie, Logik und Emotionen. Zwar war ich Firmeninhaberin, durfte aber keine Vorgänge der Firma kontrollieren. Das Einzige, was ich kontrollieren konnte und durfte war die Geschäftsführerin.

Plötzlich Firmeninhaberin also… ich hatte natürlich nicht viel Ahnung von dem, was ich nun tun musste, eines schien mir aber sinnig: ein Sparkonto anzulegen. Doch egal ob mit dieser oder anderen Ideen: Ich stieß auf taube Ohren. Ich war frustriert. Ich war Inhaber der GmbH und nutzlos; angestellt in meiner eigenen Firma aber statt Dinge zu verändern wurde ich sabotiert. Die Buchhalterin machte mich darauf aufmerksam, dass die Zahlen nicht gut aussahen. Doch jedes mal wenn sie meine Mutter darauf ansprach, schrie diese sie nur an.

Nicht nur pleite

Kurz nachdem ich die Firma übernommen hatte fing ich an zwischen den USA und Deutschland zu pendeln, da ich jemanden kennengelernt hatte. Ich konnte von Zuhause auf Distanz arbeiten. Während des zweiten Besuchs in den USA erwachte in mir der Wunsch, wieder ganz in die USA zu ziehen. Nach Absprache mit Steuerberater und Anwalt sollte dies kein Problem darstellen. Als Inhaberin einer GmbH ist man nicht standortgebunden. Während ich wieder in den USA war, braute sich in Deutschland ein Supergau zusammen: Nach der Umformatierung/Neugründung der GmbH vergaß meine Mutter als Geschäftsführerin eine neue Betriebserlaubnis zu beantragen oder nahm an, dass die bereits existierende Betriebserlaubnis für das kleine Ein-Mann-Unternehmen automatisch auf die GmbH übertragen wird. Es gab ein Ultimatum, auf das nicht reagiert wurde – was ich in den USA erst viel zu spät mitbekam – und zwar nicht von der Geschäftsführerin, sondern von anderen im Team. Dass keine Betriebserlaubnis mehr vorhanden war, sickerte auch zu einigen Jugendämtern durch, die aufhörten uns mit Kindern zu belegen. Eine der Voraussetzungen für eine erneute Betriebserlaubnis war die Liquidität der Firma.
Ich flog wieder nach Deutschland. Dort wurde mir mitgeteilt, dass die Betriebserlaubnis nicht erneuert werden könne, da die Firma als nicht liquide galt. Als ich am nächsten Tag in meinem Büro durch die E-Mails scrollte, wurde ich auf eine E-Mail einer Bank aufmerksam. Es stellte sich heraus, dass meine Mutter einen Kredit über eine halbe Millionen Euro aufnehmen wollte, doch auch dafür wollte die Bank einen Liquiditätsnachweis.. Ich realisierte, dass meine Mutter diesen Nachweiß geliefert hatte – aber mit Hilfe von veralteten Dokumenten.
Diese stellten die Firma als liquide dar, da sie mehr aktuell waren…
Ich rief die Bank sofort an. Ich sagte ihnen, dass ich dass nicht unterschreiben könne, dass die Dokumente für die Liquidität veraltet waren.
Ich fragte meine Mutter, was es mit dem Kredit auf sich hatte. Es gab keine Antwort. Ausreden. Ich bekam Angst und Panik. Ich schlief nicht mehr. Ich ging zum Hausarzt und bekam Schlaftabletten, damit ich nachts etwas Ruhe finden konnte. Meine Mutter infiltriere das ganze Team, erzählte, dass ich die Firma in den Ruin treiben wollen würde; planen würde, meiner Mutter ein Bein zu stellen.
Sie log und behauptete, der Kredit würde genehmigt, trotz aller Gerüchte, die es darum gab. Bis mir in einer Teamsitzung der Kragen platzte und ich sagte, dass kein Mensch mit gesundem Verstand eine Unterschrift für diesen Kredit geben würde – zumal ohne Betriebserlaubnis für die Firma. Das war der Anfang vom Ende. Meine Mutter fing an mich aktiv zu sabotieren. Lügen über mich zu verbreiten. Ich gab sofort eine Dienstanweisung, Insolvenz anzumelden. Doch nichts passierte. Ich wurde paranoid. Aß nicht mehr. Meine Mutter wollte rechtliche Schritte einleiten gegen Verweigerung der Ausstellung der Betriebserlaubnis – ich bestand darauf, bei der Besprechung mit dem Anwalt präsent zu sein. Es stellte sich heraus, dass meine Mutter auch hier veraltete Dokumente per E-Mail gesendet hatte. Ich hingegen brachte die richtigen und aktuellen mit.
Als meine Mutter das sah, drehte sie vollkommen durch: Die Dokumente, die ich mitgebracht hätte, seien von ihr nicht bewilligt gewesen; sie hätte es nicht genehmigt, diese dem Anwalt vorzuzeigen. Ich schüttelte leise den Kopf während sie mich vor dem Anwalt anbrüllte…
Sie fuhr aus der Haut, weil ich ihre Lügen aufgedeckt hatte.
Je mehr Lügen ich aufdeckte desto angespannter wurde die Situation zwischen mir und meiner Mutter. Alle waren Schuld, nur sie nicht. Ich bekam keine Entschuldigung. Hätte ich sie alles regeln lassen, wäre die Firma noch am leben – behauptete sie hingegen. Ich packte meine Sachen. Innerhalb von drei Wochen plante ich einen Umzug in die USA. Verkaufte, was ich verkaufen konnte und nahm nur einen Hund, einen Rucksack und eine Reisetasche mit. In der Zeit entwickelte ich suizidale Tendenzen; ich hatte Angst, was mir als nächstes bevorstehen würde. Wie meine Mutter mir als nächstes wehtun würde. Ich sagte niemandem meine Adresse in den USA: noch nichtmal meiner Mutter. Vor allem nicht meiner Mutter. Noch lange nach Umzug in die USA musste ich mir anhören, dass alles meine Schuld war. Ich nahm mich aus der Gleichung des Desasters raus und gab die erneute Dienstanweisung, Insolvenz anzumelden. Dadurch, dass Mitarbeiter nicht mehr bezahlt werden konnten, inklusive meiner Person, halste sie sich den Unmut von 13 Angestellten auf. Und wurde verklagt. Wurde in die Knie gezwungen. Es wurden Bücher aufgemacht, Dinge vom Finanzamt analysiert. Insolvenzverschleppung. Noch immer bekam ich keine Updates von meiner Mutter, der Geschäftsführerin, wurde im Dunkeln gehalten. Sie versuchte einen Sponsor zu finden; einen Investor, einen Träger. Wollte ihren luxuriösen Lebensstil aufrecht erhalten. Und scheiterte. Verlor das Haus in dem das Kinderheim beherbergt war. Bekam Konsequenzen von der Stadt für nicht bezahlte Rechnungen, unbediente Kredite.

Was-wäre-wenn Szenarien quälen mich nachts und treiben mich in den Wahnsinn.


All das landete vorm Gericht – wo sie freigesprochen wurde. Doch für mich war damit nichts vorbei: ich bekam Drohbriefe, Hassnachrichten und E-Mails von alten Angestellten, die mich für die Handlungen meiner Mutter verantwortlich machten. Mir wurde gesagt, man würde mich in den USA finden und verhaften. Mir wurde gesagt, dass sie von mir Geld wollten, da meine Mutter sie nicht bezahlt hatte. Meine Mutter reagierte auf nichts mehr. Innerhalb von 5 Monaten hatte ich sämtliches Hab und Gut in Deutschland verloren. Ich trug die Schuld jeden Tag auf meinen Schultern und fühlte mich schuldig dafür, dass ich als Inhaberin der Firma versagt hatte, die MitarbeiterInnen nicht beschützen konnte und sie wegen mir ihre Arbeit verloren hatten. Jeden Tag machte ich mir Vorwürfe. Es fraß mich innerlich auf. Nach einer Weile hörte ich auf auf Nachrichten einzugehen und verwies immer wieder auf meinen Geschäftsführerin. Eines, was ich hätte tun können, war die Geschäftsführerin zu entlassen. Allerdings hätte dies im Anblick der Gesamtsituation absolut nichts geändert. Was heute aus der Firma geworden ist weiß nicht nicht. Der letzte Wissensstand war der, dass die Firma stillgelegt wurde. Insolvent war. Zwar habe ich keine Konsequenzen davon getragen, aber ein schlechtes Gewissen. Was-wäre-wenn Szenarien quälen mich nachts und treiben mich in den Wahnsinn.
Ich kapselte mich ab. Ich hatte das  getan was möglich war, mit dem was mir zur Verfügung stand. Meine Mutter und ich sind nicht mehr im Kontakt. Nicht nur wegen dem Zustand und den Geschehnissen in der Firma, sondern aufgrund von Traumata verursacht in meiner Kindheit die geprägt war von Drohungen, Alkoholsucht und Habgier. Heute habe ich mir in den USA aus Asche ein gutes Leben aufgebaut. Ich lebe mit meinem jetzigen Mann an der Ostküste und versuche jeden Tag mit Schuldgefühlen zurecht zu kommen. Bei einigen alten Angestellten der Firma habe ich mich persönlich entschuldigt. Aber die meisten Dinge versuche ich ruhen zu lassen. Ich suchte mir in den USA professionelle Hilfe in Form eines Psychologen um mich durch die Erlebnisse zu kämpfen. Zwar habe ich keine Konsequenzen davon getragen, aber mental so viel gelitten, dass ich damit fast mit meinem Leben bezahlen wollte. Kein Tag geht vorbei an dem ich nicht dem Universum danke, dass ich glimpflich davon gekommen bin und heute hier bin. Kein Tag vergeht, an dem ich nicht dankbar bin, für das, was ich mir hier erarbeitet habe. Es war der schlimmste Fehler meines Lebens und gleichzeitig das Beste, das mir hätte passieren können, denn ansonsten wäre ich heute nicht so glücklich in den USA.“

„Ich fühle mich wie das neue Extrem.“

  1. Du bist 27 Jahre alt, wann hast Du das erste Mal gemerkt, dass Du asexuell bist?

Dass es Asexualität ist, wahrscheinlich erst vor wenigen Monaten, ca. einem Jahr. Ich habe viel mit meinem Mann darüber gesprochen, meine bisherigen Erfahren reflektiert und bin nach und nach darauf gekommen. Am Ende waren es Berichte von Menschen, denen es ähnlich erging. Bis dahin war ich immer in der Annahme, dass mit mir etwas nicht stimmte. 

Das erste Mal gemerkt, dass ich ‚anders‘ bin, sehr, sehr früh. Die erste sexuelle Erfahrung sammelte ich mit ca. 14 Jahren und es war keine schöne Erfahrung – aber das ist es wahrscheinlich bei sehr wenigen in dem Alter. Also schiebt man es ‚auf das erste Mal‘.
Aber auch das zweite und das dritte Mal brachten mir nicht das erhoffte Erlebnis. 

2. Hattest Du schon mal eine Beziehung – und warst sexuell aktiv?

Tatsächlich hatte ich einige Beziehungen. Sowohl längere, feste Beziehungen, wie auch One-Night Stands und ‚lockere‘ Freundschaften. Ja, sogar mit Frauen.

Heute würde ich sagen, dass dies alles passiert ist, weil ich nie das gefunden habe, was doch so normal zu sein schien. Eine normale sexuelle Beziehung. Kein Partner und kein Beziehungsmodell schienen für mich zu passen. Ich suchte die Schuld bei mir und ständig nach neuen Lösungen für mein Problem. 

Mit 16/17 Jahren kennst du – auf Grund der mangelhaften Aufklärung – nur das was dir bis dahin als ‚normal’ erscheint. Wir wurden über Hetero-, Bi-, Homosexualität aufgeklärt… gefühlt in einer Doppelstunde in Bio. Irgendwann in der 8. Klasse vielleicht. 

3. Wenn Du in einer Beziehung warst: hast Du Deine Asexualität angesprochen?

Wenn ich eine Beziehung hatte, habe ich das Thema nie angesprochen. 

Die Beziehungen sind meistens auch daran zerbrochen. Ich wusste nicht, was mit mir ‚los ist‘ und der Partner dachte immer, ich hätte das Interesse verloren, weil wir keinen sexuellen Kontakt mehr hatten, bzw. ich mich verweigerte. 

4. Viele Menschen, die frisch verliebt sind, kriegen nicht genug vom Partner. Wollen sich ständig berühren und miteinander ins Bett.
Was empfindest Du, wenn Du verliebt bist? 

Oh, das ist ganz ähnlich… bis auf das ‚miteinander ins Bett‘.
Ich verspüre auch gerne körperliche Nähe, kuschel gerne mit meinem Partner und verbringe gerne Zeit mit ihm. Aber DAS reicht mir vollkommen aus. Mehr braucht es für mich nicht, um mich vollkommen glücklich und geliebt zu fühlen. 

5. Warum gehts Du damit nicht offen um, wovor hast Du Angst?

Das hier ist für mich tatsächlich das 1. Mal, dass ich ‚öffentlich‘ darüber spreche. Ein wirkliches Outing gab es für mich bisher nicht, da es für mich auch noch sehr neu ist. 

Angst habe ich (glaube ich) vor den Fragen. Fragen zu etwas HOCH persönlichem. 

Einen Schwulen würde niemand fragen, wie er das denn mit dem Sex macht und wie er mit seinem aktuellen Partner denn so treibt. 
Ich hätte Angst vor Fragen, wie „Aber wieso bist du dann verheiratet? ; Wie konntest du schwanger werden, wenn du kein Sex hast? ; Was hält dein Mann davon, dass du nicht mit ihm schlafen willst?“

Wie geht Dein Mann mit Deiner Asexualität um?

Mein Mann ist sehr verständnisvoll. 

Anders als in vorherigen Beziehungen hat er das Gespräch mit mir gesucht. Sehr oft. Ruhig. & ohne Vorwürfe. Das hat mir geholfen, mich zu öffnen und mein Verhalten zu reflektieren, durch die Gespräche mit ihm. 

In anderen Beziehungen wurde es meist sehr offensiv angesprochen, wodurch ich mich natürlich angegriffen gefühlt habe & noch stärker dachte, es stimmt etwas nicht mit mir. 

Natürlich ist mir bewusst dass er Bedürfnisse hat – auch wenn ich es nicht nachfühlen kann. Ein ‚normales‚ Sexleben haben wir natürlich nicht & bestimmt auch nicht in der verführenden Romantik, wie es andere Paare leben. 

Wir haben auch hier in vielen Gesprächen für uns Lösungen & Regelungen gefunden. 

Die wichtigste Regel für mich: die Initiative geht immer von mir aus. So bekommt er nicht dauernd einen Korb & ich fühle mich nicht bei jedem seiner Versuche unter Druck gesetzt, nachgeben zu müssen Sexuelle Handlungen zuzulassen, in Situationen, in denen ich es eigentlich nicht möchte. 

So gehe ich einen Schritt auf ihn zu oder gebe ihm ein Signal, wenn ich mich gut fühle & sexuelle Handlungen für mich in dem Moment ‚ok’ sind. 

Außerdem haben wir klar definiert, welche sexuellen Handlungen für mich in Ordnung sind. 

So haben wir uns inzwischen arrangiert. Wir sind beide Kompromisse eingegangen, mit denen wir (aktuell) leben können. 

6. Wieso ist das Dein „Tabutthema“ bzw. Glaubst Du, in der breiten Gesellschaft wird Asexualität weniger anerkannt als zb. Homo-,oder Bisexualität? Woran liegt das?

Es ist für mich ein Tabutthema, weil es in der Gesellschaft nicht angekommen ist. All die von dir aufgeführten Gruppen, führen eine ‚normale‘ Beziehung mit sexueller Neigung zu einem Partner – in unterschiedlichsten Formen. 

Ich fühle mich wie das neue Extrem – der Abwesenheit von all diesem. 

Die Aufklärung in der Gesellschaft und vor allem der Jugend in den Schulen geht bei weitem nicht weit genug. Die Schulzeit ist bei mir jetzt noch nicht allzu lange her – aber ist es wirklich noch zeitgemäß, sich die Aufklärung aus Bravo und dem Internet zu beschaffen? 

Sollte es hier nicht umfassenden Unterricht in der Schule geben, der klar und deutlich über ALLE Möglichkeiten aufklärt? …und damit meine ich nicht die bereits angesprochenen Doppelstunde in Bio. 

Kinderwunsch: Sex als notweniges Übel

7.Was braucht es, damit Asexuelle offen darüber sprechen?

Mut. Viel Mut. 

Hinzufügen würde ich gerne noch etwas zum Thema Kinderwunsch. 

Ein Kinderwunsch hängt nicht mit einer sexuellen Orientierung zusammen. Genau wie Homosexuelle Paare diesen Wunsch verspüren, ist dieser auch bei meinem Mann und mir vorhanden. 

Nun gehört dazu einmal der Sex. Auf meine mehrmaligen Hinweise bei Gynäkologen, dass ich keinerlei sexuelles Verlangen verspüre, erhielt ich die Antwort, ich solle mich entspannen, wir müssten es länger probieren und wurde weg geschickt.

So verging ein Jahr.
Ein Jahr voller Sex nach Plan und Qual für mich. Es war ein notwendiges Übel, was ich bereit war, auf mich zu nehmen.

Erst nach einem Jahr waren die Ärzte bereit uns zu helfen. Am Ende standen wir auch noch vor dem größeren Thema ‚Unfruchtbarkeit‘ und einer künstlichen Befruchtung stand (Gott sei Dank) nichts mehr im Wege. Für mich war es ein kleiner Befreiungsschlag. 

Aber ja, nicht einmal Ärzte denken über diese Möglichkeit nach.

„Wir haben Angst davor, was noch alles auf uns zukommt“

„Die Situation auf der Intensivstation ist angespannt. Das ist grundsätzlich nichts Neues, da mich das große Wort „Pflegenotstand“ bereits seit meiner Ausbildung 2013 begleitet. Doch niemand von uns hat bisher währen einer Pandemie gearbeitet…
Bereits vorher war der Fachkräftemarkt leergefegt. 
Damit müssen wir jetzt bei unserer täglichen Arbeit klarkommen: Ziel: ohne genügend Fachpersonal schwerkranke Covid-PatientInnen versorgen. So wurden manche Stationen von Grund auf umstrukturiert und OP‘s gecancelt, damit mehr Personal auf den Intensivstationen zur Verfügung steht. 
Das ist fatal: Es müssen Operationen von z.B. herz- oder krebskranken Menschen verschoben werden. Wie ernst muss die Lage denn noch werden? Hinzu kommt, dass viele fachfremde Pflegekräfte sich nicht für die Betreuung der COVID-Patienten eignen. Ein Crashkurs zum Thema Beatmung und Lungenersatzverfahren reicht da einfach nicht aus. Wir brauchen auf Intensivmedizin spezialisierte Pflegekräfte. – Und die Anzahl derer ist bekanntlich begrenzt. 
Deshalb interessieren mich auch die Zahlen nicht, die die Intensivbettenkapazität beschreiben. Ein freies Intensivbett ohne Pflegekraft ist kein freies Intensivbett. Es ist keine Seltenheit, dass Kliniken zigmal untereinander telefonieren müssen bis sich noch eine mit freien Kapazitäten für einen COVID positiven Patienten findet. Schon vor der Pandemie war die Pflege am Limit. Wer glaubt denn, dass sich der erhebliche Mehraufwand nun einfach wegstecken lässt?

„Scheinbar wird darauf gebaut, dass sich mein Berufsstand vor lauter Barmherzigkeit an die Front der Pandemie drängt, um zu helfen.“

Ich merke, dass die Situation wesentlich zugespitzter ist als im Frühjahr. Wir haben schon jetzt mehr COVID – PatientInnen als noch im März und April und bedienen deutlich mehr Maschinen für Lungenersatzverfahren. Zudem sind wir desillusioniert worden. Im Frühjahr wurden wir beklatscht und wie Helden gefeiert. Das war unsere Chance endlich gehört zu werden! Wir bekamen so viel Aufmerksamkeit und wollten die Möglichkeit nutzen unsere seit Jahren gesetzten Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen und besserer Bezahlung durchzusetzen! Was passierte? Nichts. Applaus, Applaus.

Ende des Jahres soll ich eine kleine einmalige COVID Prämie erhalten. In meiner Gehaltsstufe sind es nicht einmal 500 Euro. Und so wird aus einer gut gemeinten Geste etwas, das man als Pflegekraft demütigend findet. Die Bereitschaft vieler KollegInnen in der Pandemiezeit mitzuhelfen hat sich im Rahmen dessen natürlich reduziert. – Und so wird aus Hoffnung und Systemrelevanz Frust und die nächste Kündigungswelle. Scheinbar wird darauf gebaut, dass sich mein Berufsstand vor lauter Barmherzigkeit an die Front der Pandemie drängt, um zu helfen. 

Aber es blieb bei warmen Worten und Applaus, wofür wir hätten dankbar sein sollen. Es wird von uns mehr denn je erwartet und uns bleibt davon nichts außer die nächste „Merci“ – Packung im Aufenthaltsraum. Wir wurden endlich gesehen und gehört, aber wieder nicht ernst genommen. Dieser bittere Beigeschmack begleitet mich in jedem Dienst auf der COVID-Station. 

Das Arbeiten auf der Covid-Intensiv ist aber aus vielen Gründen hart:

Die Pflege von COVID-19-PatientInnen ist erheblich aufwändiger als die der anderen. Das liegt nicht nur an der speziellen Schutzkleidung, die über Stunden wirklich anstrengend wird zu tragen, sondern auch an der Komplexität der Erkrankung. Wenn die Lungenentzündung erst einmal so weit fortgeschritten ist, dass die Patienten intubiert und beatmet werden müssen, hat man das Gefühl, dass kaum etwas diese Infektion aufhalten kann. Es kommt nicht selten zu Komplikationen im gesamten Kreislauf, die wiederum andere Organe zu Schaden kommen lassen. 

Auf den Nicht-COVID Stationen gibt es immer wieder PatientInnen, die rein zur Überwachung aufgenommen werden. Es gibt dort immer ein paar Patienten, die einem in der Schicht nicht viel Arbeit machen. Auf einer COVID-Station gibt es diese PatientInnen nicht. Selbst wenn sie nicht beatmet werden müssen, nimmt die psychosoziale Betreuung viel Zeit und Fingerspitzengefühl in Anspruch. Schon oft wurde ich von den Betroffenen bei Aufnahme gefragt: „Muss ich jetzt etwa sterben?“ Diese Menschen haben Angst. Eine Woche vor Aufnahme haben sie noch die Nachrichten im Fernsehen gesehen und dann hatten sie plötzlich selbst einen positiven Abstrich. Anfangs fühlte sich alles noch wie eine Erkältung an… und plötzlich sind sie auf der Intensivstation gelandet…

Woher Personal nehmen, das es vor der Pandemie schon nicht gab? 

Auf einer Intensivstation sind die Zimmertüren in der Regel offen, damit die Alarme aus den Zimmern rechtzeitig und deutlich wahrgenommen werden können. Beim COVID-Patienten muss die Zimmertür geschlossen bleiben, um die Ausbreitung der Aerosole gering zu halten. Das bedeutet wiederum für Pflegekräfte in der Regel Anwesenheitspflicht im Zimmer. Anwesenheitspflicht in Schutzkleidung bis jemand zur Pausenablösung kommt. Da hat man für das Gejammer über die Alltagsmasken wirklich nur noch ein müdes Lächeln übrig. Denn selbst die perfekt sitzende und bequemste FFP2 Maske macht nach drei Stunden Anwesenheit im Zimmer schmerzhafte Druckstellen. 

Die Betreuung von Covid-PatientInnen ist personalintensiv: 
Im Regelbetrieb betreut eine Pflegekraft drei Intensivpatienten. 
Im COVID – Bereich muss wegen des erhöhten Pflegeaufwandes und Einhaltung der Hygienemaßnahmen eine 1:2 Betreuung gewährleistet sein. Ohne unsere KollegInnen von der Zeitarbeit wäre eine Versorgung der Patienten definitiv nicht möglich. – Und das, obwohl die Kapazitäten an Intensivbetten noch nicht einmal erreicht sind, wenn man den Zahlen Glauben schenken möchte. Ich empfinde hingegen jetzt schon, dass wir dem Limit an Intensivkapazitäten schon näher sind als es uns lieb ist. Denn woher sollen wir das Personal nehmen, das es vor der Pandemie schon nicht gab? 

Zudem herrscht absolutes Besuchsverbot (Ausnahmen müssen schriftlich vom Arzt genehmigt werden). Wir Pflegende sind die einzige Schnittstelle zur Außenwelt für diese PatientInnen. Manchmal können wir zumindest Videotelefonate organisieren. Doch  all das lässt die Belastung noch immenser werden als sie eh schon ist.

Wie kann ein „querdenkender“ Demonstrant sich selbst dazu ermächtigen entscheiden zu können, wer leben darf und wer nicht?

Meinen emotionalsten Moment während der COVID-Pandemie hatte ich, als ich eine Kollegin im COVID-Zimmer zur Pause abgelöste. Ich schaute mir zuerst den Patienten an. Er war tief sediert. Zwischen Beatmungsgerät, Lungenersatzmaschine, Monitor und Medikamentenpumpen lag da ein Mensch mit einer eigenen Geschichte und einer Familie. Meine KollegInnen haben Fotos und Bilder an seinem Platz aufgehängt, die seine Familie uns hat zukommen lassen. Ich schaute sie mir genau an und war wie so oft erstaunt, wie sehr sich das Aussehen der Menschen ändern kann, wenn sie intensivpflichtig bei uns liegen. Der Mensch auf den Fotos hat doch nichts mit dem, der da im Bett liegt, zu tun. Und dann fiel mir ein Bild ins Auge, das offensichtlich vom Enkel des Patienten gemalt wurde. Er hat sich und seinen Opa gemalt. Um die beiden Menschen herum schwebten COVID-Viren, die mit einem dicken Rotstift durchgestrichen waren. Ich musste den Kloß in meinem Hals runterschlucken bevor er zu groß wurde und schürte gleichzeitig Wut. Wut auf diejenigen, die behaupten, dass nur alte und schwerkranke an COVID-19 versterben. Das ist nämlich nicht nur moralisch absolut verwerflich, sondern auch einfach falsch. Denn dieser Großvater im Intensivbett ist vielleicht nicht mehr Mitte 30, aber er hat ein Leben und eine Familie. Wie kann ein „querdenkender“ Demonstrant sich selbst dazu ermächtigen entscheiden zu können, wer leben darf und wer nicht? Was sind ältere oder kranke Menschen in der Gesellschaft wert? Die Antwort darauf tut weh. Wenn ich nach meinem Dienst auf der COVID-Station die Nachrichten einschalte und die Berichterstattung über die letzte Querdenker Demo anschaue, wird mir schlecht. Ich dachte, dass Konzept „Survival of the fittest“ wäre mittlerweile überholt.

Wer sich in Sicherheit wiegt, weil er jung und scheinbar gesund ist, dem rate ich zu etwas mehr Respekt vor der Sache. Meiner Erfahrung nach sind die meisten unserer PatientInnen über 50 und haben Grunderkrankungen wie Bluthochdruck, Asthma oder Diabetes. Aber ich habe auch jüngere PatientInnen, die sich bester Gesundheit erfreuten, an Covid-19 bzw. dessen Folgen und Komplikationen sterben sehen. Das ist natürlich nicht die Regel, sollte aber auch kein Grund sein sich unvernünftig zu verhalten und andere Menschen zu gefährden.

Wir auf der Covid-Intensiv sind jetzt schon am Ende unserer Grenzen. Wir haben Angst davor, was noch alles auf uns zukommt. Wie wird die Situation nach den Feiertagen? Man mag es sich nicht vorstellen. Eine noch größere Welle würde das sensible, instabile und marode Kartenhaus des deutschen Gesundheitssystems völlig zusammenbrechen lassen.“

Das zweite Mal an Covid-19 erkrankt

„Das erste Mal habe ich mich vermutlich in der Klinik in der Abteilung für Kardiologie angesteckt.
Ich bin Ärztin und Anfang April wurden auch in unserem Landkreis die ersten Fälle immer mehr. Von den Nachbarländern hatten wir schon vieles in Bezug auf Corona gehört, in Deutschland gab es zu diesem Zeitpunkt großen Notstand in der Versorgung mit Schutzausrüstung und wir hatten die Maßgabe ohne Maske zu arbeiten. So wurde ich schnell zu einer Kontaktperson eines Patienten, der im Verlauf positiv getestet und an COVID erkrankt war.

Ich hatte Nachtdienst und bekam einen Absonderungsbescheid des Gesundheitsamtes, dass ich als enge Kontaktperson (ich hatte den Patienten längere Zeit ohne Schutzausrüstung untersucht) zuhause bleiben muss. Der Arbeitgeber hatte die Maßgabe gegeben, dass man arbeiten darf/muss/kann, wenn man keine Symptome aufweist. Streng genommen hatte ich Kopfschmerzen und Halsschmerzen, wer hat das nicht mal nach 13h Nachtdienst. Also machte ich eine SARS-COV-2 PCR (tiefer Nasen-/Rachenabstrich) in der Klinik, um weiter arbeiten zu können. 4h später der Anruf des Labors: der Test war positiv. Ich wurde von Kollegen abgelöst und ging nach Hause. 14 Tage Quarantäne.
Außer Kopfschmerzen, Halsschmerzen und vermehrter Müdigkeit hatte ich keine Beschwerden.
Es gab viele Informationen in den Medien, beginnende Studien, viel Nützliches, aber auch viel Beängstigendes. Schwere Verläufe nicht nur bei älteren, vorerkrankten Menschen, auch junge, fitte Menschen, die stationäre Behandlungen, Sauerstofftherapie brauchten. Irgendwann konnte ich die Nachrichten nicht mehr sehen. Bekam ich jetzt Husten, kriegte ich vermeintlich schwerer Luft, nur weil dies so beschrieben war? Ich vertraute auf meinen Körper und die Immunabwehr und kam mit einem sehr milden Verlauf und gutem Wohlbefinden aus der Quarantäne.

Noch mal Corona? Mehr als unwahrscheinlich. Dachte ich.

Ca. 5 Monate später, im September, machte ich bei der Betriebsmedizinerin einen Antikörper Test. Negativ. Da ich einen sehr milden Verlauf hatte und bereits einige Zeit verstrichen war, gehe ich davon aus, dass ich entweder überhaupt keine Antikörper gebildet habe oder sie nicht mehr nachweisbar waren. 
Im November, also 7 Monate nach der ersten Infektion, wurde ich krank. Ich hatte zuvor Nachtdienste in der Zentralen Notaufnahme, etwa 2-3 Tage später fühlte ich mich schlecht. Höllische Kopfschmerzen, Hals- und Gliederschmerzen, Schnupfen, Husten, Erschöpfung, Unwohlsein. Nachts musste ich mich mehrfach übergeben. Grippe dachte ich, meldete mich krank. Nach 3 Tagen keine Besserung, sodass die Klinik mich bat, nochmals einen Corona Abstrich zu machen. Nochmal Corona? Mehr als unwahrscheinlich. Dachte ich.

Beim Hausarzt ließ ich mich abstreichen, am nächsten Morgen 5 verpasste Anrufe auf dem Handy. Es meldet sich sicher niemand nur um mitzuteilen, dass ein Test negativ ist. Das Gesundheitsamt bestätigte, dass die SARS-COV-2 PCR erneut positiv ist. In unserem Landkreis war bislang erst eine Zweit-/Reinfektion beschrieben. Ich selbst war immer noch krank, erschöpft, mit zusätzlich Husten, Geschmacksverlust. Zum Glück kein Fieber, keine Atemnot. Wo hatte ich mich diesmal angesteckt, fragte ich mich. In der Notaufnahme isolieren wir alle Patienten, die im weitesten Sinne COVID haben könnten, Schutzausrüstung gibt es inzwischen ausreichend. Privat hatte ich kaum jemanden getroffen, wenn dann draußen im Freien und mit ausreichend Abstand. War vielleicht doch meine erste SARS-COV-2 PCR falsch positiv? Es wurde versucht, den ersten Abstrich von April zu beschaffen, um eine mögliche Mutation des Virus zu detektieren oder um zu prüfen, ob der Test tatsächlich positiv war. Leider hatte man die Probe inzwischen verworfen. Letztlich wird man die Frage nach der Ansteckung oder einer Reaktivierung des Virus nicht abschließend klären können. Weitere Tests wurden durchgeführt. In Stuttgart erfolgt aktuell eine Studie, die medizinisches Personal und den Verlauf, die Serokonversion der Antikörper nach einer COVID – 19 Erkrankung, erforscht. Ich schickte Proben hin. IgA Antikörper habe ich schon gebildet, der weitere Verlauf bleibt abzuwarten. 
Da ich die erste COVID Erkrankung gut überstanden hatte, hatte ich Vertrauen, dass es auch diesmal wieder gut werden würde. Auch wenn ich deutlich mehr und stärkere Symptome hatte. Zwischendurch erkrankte auch mein Partner, mit dem ich zusammen wohne. Auch ihn erwischte es heftig mit Fieber, Schüttelfrost, Husten, Schnupfen, Gliederschmerzen, Kopf- und Halsschmerzen. Geschmacksverlust. Er schmeckt auch heute, 4 Wochen nach gesicherter Infektion, noch wenig. Hier mache ich mir Vorwürfe und Sorgen. Was, wenn der Geschmack nicht wieder kommt? Hoffen wir das beste.
Immer noch wache ich häufig mit Kopfschmerzen auf, fühle mich tagsüber müde, schlapp. Muss mich deutlich mehr anstrengen um über längere Zeit konzentriert zu bleiben. Vergesse Dinge. Damit kann ich leben, ich kenne und sehe deutlich schwerere Verläufe, kann mich hiermit noch glücklich schätzen. In der Zentralen Notaufnahme haben wir täglich mehrere COVID-19 positive Patienten, einige davon bereits Sauerstoffpflichtig, schwer erkrankt. Tendenz steigend.“ 


An alle Corona-Leugner:
Wenn ihr schon der Wissenschaft nicht glaubt und Offensichtliches so vehement leugnet: haltet euch an die Maßgaben, haltet Abstand, schützt euch und eure Mitmenschen, seid solidarisch. Damit wir genügend Kapazitäten haben, auch euch im Falle einer Ansteckung, Erkrankung adäquat medizinisch zu versorgen. 

Marie (Name geändert), ist junge Ärztin in einem Krankenhaus und hat für Coronaleugner null Verständnis